Brennpunkt Nahost
USA Beziehungen zur syrischen Opposition in der Türkei, zu Teilen der Bevölkerung, selbst zu Kreisen innerhalb des Regimes. Wie will Russland diese Auseinandersetzung gewinnen? Sie werden verlieren.
Ich wünsche mir, dass die Russen das irgendwann verstehen.
Bei der Syrien-Konferenz in Genf Ende Juni (2012) haben sie sich zusammen mit den USA, Frankreich, Großbritannien und China verpflichtet, Syrien beim Übergang zur Demokratie zu helfen. Was tun sie? Das Gegenteil! Sie bewaffnen das Regime, das diese Waffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzt.
Welche Rolle spielt der fundamentalistische Islam, vor allem in Bezug auf die Freie Syrische Armee?
Die Menschen, die diese Revolution gemacht haben, sind zum größten Teil Muslime, aber keine Islamisten. Es gibt in dieser Revolution zwei Teile: die moderne Zivilgesellschaft und die traditionelle Gesellschaft. Die moderne Zivilgesellschaft besteht zum größten Teil aus jungen Leuten, die nicht besonders gläubig sind. Die traditionelle Gesellschaft hat bei dieser Revolution nicht deshalb mitgemacht, weil sie einen islamischen Staat wollte, sondern weil sie für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit war.
Die staatliche Macht hat ihre Repression auf die moderne Zivilgesellschaft gerichtet und diese beinahe vernichtet. Das hat die traditionelle Gesellschaft gezwungen, sich zu bewaffnen und sich zu radikalisieren. Zunächst gab es keine Islamisten. Jetzt gibt es eine kleine Gruppe von Islamisten, die ziemlich zerstreut ist, aber von Sendern wie Al Jazeera und al-Arabiya in den Mittelpunkt gerückt wird. Die Türkei hat einige Kongresse organisiert und dazu Islamisten aus der ganzen Welt zusammengetrommelt, die in Syrien völlig unbekannt waren und es bis heute sind.
Der syrische Menschenrechtsanwalt Michal Shammas, selbst ein Christ, der oft genug wegen seiner Assad-kritischen Haltung im Gefängnis saß, macht den Krieg der USA gegen den Irak verantwortlich für die Angst der Christen in Syrien. Die Besetzung habe zu sunnitischem Terror gegen die irakischen Christen geführt, da die Terroristen sie als Kollaborateure der Besatzer ansahen. So blieb den irakischen Christen nichts anderes übrig als zu fliehen: »Die irakischen Flüchtlinge, die nach Syrien flohen und sich dort auf Ortschaften mit christlichen Mehrheiten verteilten, brachten ihre grauenvollen Lebensgeschichten mit und erzählten sie ihren syrischen Nachbarn. So kroch die Angst in die Herzen der syrischen Christen, und sie begannen sich zu fragen, wann ihre Zeit gekommen sei«, schreibt er in einem Aufsatz für das Buch »Syrien – der schwierige Weg in die Freiheit«.
Nach dem Gottesdienst der syrisch-orthodoxen Gemeinde der Mariamia-Kirche erleben wir hautnah, was Michal Shammas in seinem Artikel beschreibt: die Angst der Christen vor politischer Veränderung. Wir bauen uns mit unserer Kamera vor dem Kirchenportal auf, um die Gottesdienstbesucher nach ihrer Meinung zur Lage im Land zu befragen. Rima Youssef, eine junge Christin, die mit ihrer vierjährigen Tochter den Gottesdienst besucht hat, sagt uns ins Mikrofon:
Vor kurzem hat die FSA einen Befehl ausgegeben, dass kein Mitglied der FSA Mitglied in einer Partei sein darf, weder in einer politischen, noch in einer religiösen Partei. Das bedeutet, die Führung der FSA möchte die Islamisten aus ihren Reihen ausschließen. Außerdem hat die FSA jetzt eine Erklärung verabschiedet, nach der Gefangene nicht gefoltert werden dürfen und das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren haben.
Aber das Geld fließt letztlich doch aus Saudi Arabien und Katar.
Katar unterstützt die Muslimbrüder und Saudi Arabien die Salafisten. Beide Gruppen sind zerstritten, sehr schwach und isoliert von der Bevölkerung. Wir haben Freunde, die regelmäßig nach Syrien reisen und uns über die Lage vor Ort berichten.
Vor kurzem gab es eine Umfrage in Hama, bei der herausgekommen ist, dass nur 4 % der dortigen Bevölkerung Vertrauen zu den Muslimbrüdern haben. Die islamistische Gefahr wird im Westen sehr aufgebauscht, damit man die notwendigen Alibis hat, um nichts zu tun.
Was sind die Vorstellungen der Opposition für ein Syrien nach Assad – politisch, ökonomisch, sozial?
Nach Assad werden wir eine demokratische Regierung haben, eine Regierung, die ein militärisches Problem hat, ein ökonomisches, ein soziales und ein Problem der Definition der syrischen Identität. Es wird entscheidend sein, ob wir diese Probleme schnell im Rahmen einer nationalen Einheit
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