Brenntage - Roman
dabei zu, wie sich die Bäume wehrten, wie sie noch ein bisschen weiterwuchsen, neue Triebe und Wurzeln schlugen, ich rieb mir die Augen und hielt dies lange Zeit für gänzlich unmöglich … den Tod so einfach auszutricksen, ohne viel Federlesens. Aber bald kamen die Raupen und Pilze, modrige Gesellen und Wurmverwandte, die liegenden Bäume boten ihnen eine gar zu große Angriffsfläche.
Und später kamen die Jäger, die in den Wäldern allerlei Wild dezimierten, und ihnen folgten schon bald Soldaten, die sorgfältig das Land durchkämmten, sie sammelten auf ihren langen Märschen die verbliebenen Pilze und Beeren ein, ihre Hosenbeine waren löchrig, die Gesichter fahl und übersät mit Bartstoppeln. Sie nutzten unsere Pfade, versuchten, sich zu orientieren, und manchmal liefen wir Kinder in den Wald und bahnten uns neue Wege durchs Unterholz, die nirgendwohin führten, um so manchemSoldaten ein Schnippchen zu schlagen. Wir stellten uns vor, wie so ein Soldat (oder Jäger) irgendwann am toten Punkt anlangte, fluchte und umkehren musste, doch es war schon Nacht, und er geriet außer sich und schließlich in Panik. Wir stellten uns weiter vor, wie ihn der Wald einschloss, wie ihn bald die Kräfte verließen und er seine letzten Stunden in verborgenen, kaum einsehbaren Ecken und Winkeln fristen musste, eingekesselt von Füchsen und Mardern.
Eine Zeit lang brachte der Onkel allerlei Knochen aus dem Wald mit, erklärte mir, welcher der meinigen dem aufgefundenen Stück am nächsten käme und welche Funktion dieser im Inneren des Körpers erfüllte. Wir verbrachten ganze Tage damit, Skelette zusammenzusetzen, bisweilen aus Tieren, Menschen oder an sich «unbelebten» Dingen (eingesammelten Blech- oder Eisenteilen etwa), manchmal entstanden dabei ganz neue Wesen.
Gott müsse sich ähnlich gefühlt haben
, meinte der Onkel, aber er war gar kein gläubiger Mann, und immer wenn er von Gott sprach, zwinkerte er mir zu und lächelte schelmisch. Dabei hatte ich wirklich Talent und konnte allerlei Fabelwesen vor seinen Augen entstehen lassen, die es in sich hatten, ich hätte diesem Gott bestimmt Konkurrenz gemacht.
Manchmal brachte mir der Onkel tatsächlich schon auf den ersten Blick erkennbare Menschenknochen aus dem Wald mit, wir gaben uns feierlich die Hand und versprachen, keinerlei Unsinn mit ihnen zu treiben; wir nannten die Knochen beim Namen (etwa caput femoris oder articulatio coxae – also Hüftkopf oder -gelenk) und ließen sie niemals draußen im Regen liegen. Die meisten vergruben wir in unseremGarten und dachten daran, wie es uns später ergehen würde. Es kam mir jedenfalls in den Sinn, wie man vielleicht irgendwann meine Knochen auffinden würde, voller Bissspuren (verwilderte Katzen und Hunde), es war keine schöne Vorstellung. Bisweilen fanden wir für manchen der Funde Verwendung … Totenköpfe etwa wurden zu Blumentöpfen umfunktioniert, wir füllten sie mit nasskalter Erde und pflanzten darin Frühlingsblumen, Schneeglöckchen und Primeln, sie waren schön anzuschauen. Der Onkel erzählte mir, dass die Menschen früher mit Knochen sogar Feuer entfachten, wo doch das Mark und die darin enthaltenen Fette schön loderten … Alles von einem Tier (und Menschen) fand früher Verwendung.
Wir Kinder spielten damals gern mit dem Feuer, konnten es kaum erwarten, in den Wald zu laufen, heimlich trugen wir mancherlei
Verlassenschaft
(so nannten wir alles, das nicht niet- und nagelfest war) unter die Bäume, wo wir sie den Flammen überließen. Natürlich war es riskant, außerhalb der Saison Feuer zu machen, nicht auszudenken, hätten die Flammen die verbliebenen Bäume erfasst, aber wir achteten auf den Wind und hielten stets Wasser bereit, um das Feuer zu löschen. Oft verbrannten wir sogar nützliche Dinge, die allerdings über guten Brennwert verfügten und mancher Flamme einen roten, grünen oder blauen Schimmer verliehen, man konnte sich so ein ganzes Farbspektrum basteln.
Als ich zum ersten Mal vom Onkel wissen wollte, was das Wort «Verlassenschaft» eigentlich bedeute, drehte er sich abrupt um und drohte mir …
du hast doch nicht etwa gezündelt?
Aber eigentlich war meinem Onkel nichts Menschlichesfremd, und unsere Feuer entwickelten kaum Rauch, wir hätten sie auch niemals entfacht, wären Forstarbeiter, Verwaltungsbeamte oder Soldaten in der Nähe gewesen.
Als meine Tante starb (für mich völlig überraschend), ließ sie der Onkel einäschern, und wir verstreuten die Asche über ihren Kräuter-
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