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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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trat er ein.
    Fast wäre er erschrocken zurückgewichen. Im hölzernen Anbau herrschte ein ohrenbetäubender Lärm. Riwal und Le Coz standen wenig später hinter ihm. Die Beleuchtung des Raums war noch deutlich schummriger als nebenan.
    »Madame Nuz sagt, wir könnten den Raum gern nutzen, aber sie empfiehlt es uns nicht. Wir würden unser eigenes Wort nicht verstehen.«
    »Das ist vollkommen absurd. Wir werden einige Anrufe machen müssen. «
    Dupins Laune verschlechterte sich mit jeder verstrichenen Sekunde. Sie hatten in der Tat keine Zeit zu verlieren.
    Er steuerte auf die hinterste Ecke des Anbaus zu, in der Hoffnung, dass es dort besser wäre. Er presste sich gegen die massive Steinwand des alten Gebäudes. Die Hoffnung war vergebens. Im ganzen Anbau waren der wütend tobende Sturm und der peitschende Regen nicht bloß zu hören, als stünde man im Freien – es schien, als wirkte die Holzkonstruktion des Anbaus wie ein Resonanzkasten, der den Lärm noch verstärkte. Trotzig holte er sein Handy hervor. Er wählte Nolwenns Nummer. Vergeblich. Nochmals. Wieder vergeblich. Er hielt das Handy nah an die Augen. Nichts. Kein Balken. Gar nichts. Nicht mal der kleinste. Es gab keinen Empfang. Wegen des Sturms.
    Daran hatte er nicht gedacht. Das war ganz und gar untragbar.
    »Dann werden wir das Festnetz von Solenn Nuz benutzen müssen.«
    Ein paar Sekunden sagte niemand ein Wort. Riwal übernahm es.
    »Hier draußen gibt es kein Festnetz, Commissaire.«
    »Was?«
    Das war so mickrig und leise gekommen, dass niemand Dupins Reaktion gehört hatte. Er war entgeistert.
    »Das kann doch nicht sein. Die müssen doch ein Festnetz haben.«
    »Das gab es hier noch nie, Chef. Es wäre ein gigantischer Aufwand – für eine Handvoll Menschen.«
    Dupin kapitulierte. Das war eine Katastrophe. Aus vielen Gründen. Was wäre, wenn man Le Menn fände, irgendwo an Land, und er Entscheidendes zu sagen hätte. Wenn Kadeg beim Verhör des Bürgermeisters etwas Relevantes herausgefunden hatte. Wichtiger noch: neue Ergebnisse bei der Durchsuchung der sichergestellten Festplatten. Er befand sich an einem kritischen Punkt der Ermittlung, er musste erreichbar sein und in jeder Sekunde selbst die Leute erreichen können, die er erreichen wollte.
    »Dann müssen wir aufs Festland zurück. Das geht nicht anders.«
    Riwal versuchte, beruhigend auf den Kommissar einzuwirken.
    »Wir haben keine Chance. Bei einem derartigen Unwetter können wir die Insel nicht verlassen.«
    »Was? Das gibt’s doch nicht.«
    »Wir können nur eines tun, so schwer es sein mag: warten. Wir müssen warten. Jeder auf seiner Insel. Wir hier, Bellec auf Cigogne, die anderen auf Brilimec.«
    »Wie lange?«
    Wieder war Riwal anzumerken, dass er überlegte, wie er es möglichst schonend vermitteln könnte.
    »Das sieht nicht so aus, als wäre es schnell vorüber«, er war bemüht, Zuversicht in den nächsten Satz zu legen, »aber man weiß nie. Das bretonische Wetter ist schwer vorherzusagen.«
    »Wie lange?«
    »Bis wir hier gefahrlos aufbrechen können – wahrscheinlich spätnachts. Oder früher Morgen.«
    »Morgen früh?«
    Dupin hatte Mühe zu sprechen.
    Nach und nach erst realisierte er die Situation. Dass sie noch viel schlimmer war, als er eben im ersten Schock angenommen hatte.
    Sie saßen fest. Hier auf dem Archipel. Gefangen. Von der Welt abgeschnitten. Egal was passierte, was auch vorfallen sollte. Selbst bei einem medizinischen Notfall, selbst bei einem weiteren Mord. Sie würden nicht ans Festland kommen. Und niemand vom Festland hierher. Dupin begriff jetzt erst, was die Worte wirklich bedeuteten, die er in den letzten zwei Tagen so häufig gehört hatte: »Die Glénan sind gar kein richtiges Land, ein Nichts mitten im Meer«. Wie um diesen Gedanken zu unterstreichen, hatte die Holzkonstruktion des Anbaus bei den letzten heftigen Böen begonnen, bedenklich laut zu knarzen und zu ächzen.
    Dupin setzte an, etwas zu sagen, ließ es dann aber. Sie verloren entscheidende Stunden.
    Riwal und Le Coz war die Sorge um den Zustand des Kommissars deutlich anzusehen. Dupin senkte den Kopf und schritt auf die Tür zu. Er öffnete sie sehr langsam und blieb im Rahmen stehen. In den letzten Minuten hatte sich die Anzahl der Gäste deutlich erhöht, alle waren vollkommen durchnässt. Er sah Gesichter, die er nicht kannte, aber auch Madame Menez, Muriel Lefort und Marc Leussot. Alle suchten Schutz. Und hatten Hunger. Leussot kam vermutlich von seinem Boot, und Madame Menez

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