Bretonische Brandung
ihm unangenehm. Auch Anjela Barrault, die sich den Nebentisch ausgesucht hatte, hatte den Kommisar nun gesehen und ihm einen forschen Blick zugeworfen.
Dupin setzte sich zu seinen Kollegen.
»Wir haben – überlegt – etwas zu essen«, meinte Riwal vorsichtig. Als wollte er erst mal vorfühlen.
Auch wenn es Dupin immer noch irgendwie unangebracht vorkam – auch er hatte ehrlich gesagt fürchterlichen Hunger und außerdem: Was sollten sie tun? Sie würden, das stand fest, den Abend und die Nacht sowieso hier verbringen. Und nur hier würde es etwas zu essen geben. Kein Amiral, nichts.
»Gut.«
Es war ein brummiges, aber akzeptables »Gut« geworden. Riwal blickte deutlich erleichtert. Le Coz sprang förmlich auf. Riwal einen Moment später ebenso.
Sie sprachen wie im Chor. »Wir holen uns eine Cotriade. Sollen wir Ihnen eine mitbringen, Monsieur le Commissaire?«
Dupin gab (nur noch sehr wenig murrend) nach. Vor allem seinem eigenen Magen.
»Riwal? Auch eine Flasche Rotwein. Den gekühlten Pinot noir.«
Das war der Beste zum Fisch.
Riwals Augen glänzten, obwohl er sich Mühe gab, es zu verbergen.
Die beiden stellten sich in die kleine Schlange, die sich mittlerweile vor dem Tresen gebildet hatte.
Dupin fiel gerade etwas Großartiges ein: Wenn er schon den ganzen Abend und die ganze Nacht nicht erreichbar sein würde, – dann würde er auch niemanden erreichen können – auch den Präfekten nicht! Schlagartig musste er grinsen.
Le Coz und Riwal hatten sich anscheinend geeinigt, dass nur einer anstehen würde. Riwal kam zurück und setzte sich aufrecht hin.
»Was werden wir jetzt tun, Chef?«
»Wir haben einen Großteil der Verdächtigen hier. Das wird eine interessante Nacht, Riwal«, Dupin machte eine Pause, »am besten schauen und hören wir zu. Vielleicht sitzt der Mörder nur ein paar Meter von uns entfernt. Ganz so, wie sie oder er hier vorgestern Nacht saß …«
Riwal schaute sich verstohlen um.
»Haben Sie mittlerweile einen Verdacht?«
Dupin lachte.
»Ich schlage vor, wir setzen uns nach dem Essen mit allen hier Gestrandeten an einen Tisch.«
»Denken Sie, das ist eine gute Idee?«
»Wir werden sehen.«
Dupin war in einer seltsamen Stimmung, was auch, zumindest zum Teil, an seiner bedenklichen Unterzuckerung lag.
Le Coz kehrte mit einem großen Tablett zurück, auf dem eine Flasche Wasser und der Wein standen. Drei Gläser.
»Die Getränke. Madame Nuz bringt die Cotriade.«
»Sehr gut.«
Dupin war schlussendlich ganz damit einverstanden, richtig hungrig zu sein. Er nahm die Flasche Wein, schenkte Riwal und Le Coz ein, dann sich, prostete »Yec’hed mat« (darauf war er immer sehr stolz) – und trank das Glas in einem Zug leer. Auch die anderen konzentrierten sich auf den Wein. Für alle war es ein langer Tag gewesen. Keiner sprach ein Wort.
Es dauerte nicht lange, bis Solenn und Louann Nuz zwei Tabletts brachten, auf denen drei Keramikteller mit Cotriade standen, mehrere Schälchen mit – in gesalzener Butter! – geröstetem Baguette und der ›Geheimsauce‹. Dabei handelte es sich im Prinzip um eine Vinaigrette, deren Rezept je nach Familie, Dorf und Region variierte. Dupin hatte sein zweites Glas Wein genauso schnell wie das erste getrunken, noch bevor er einen ersten Bissen genommen hatte. Ihm fiel ausgerechnet jetzt der Witz von Goulch ein: dass die Flaschen dummerweise auf den Glénan kleiner waren als gewöhnlich.
Dupin fühlte sich deutlich besser. Der Fischtopf – niemals durfte man Fischsuppe sagen – duftete unbeschreiblich. Dupin erkannte all seine Lieblingsfische: Lotte, Seebarsch, Rotbarbe, Dorade, Pollack, Kabeljau, Seehecht und Seezunge, seine Lieblingsmuscheln: Praires, Jakobsmuscheln, Miesmuscheln, Palourdes Grises und besser noch – Palourdes Roses –, dazu Langoustines in verschiedenen Größen sowie Krebse. Es war tatsächlich ein riesengroßer tiefer Teller, auf dem sich ein imposanter Berg türmte. Überstürzter als beabsichtigt goss er die Sauce über den Fisch und die Kartoffeln. Und aß. Er schmeckte das ganze Meer. Unglaublich. Die Fische, aber vor allem der Fond, ein Konzentrat, das über Stunden und Stunden eingekocht worden war.
Unhöflicherweise hatte er gar nicht wahrgenommen, dass Madame Nuz immer noch neben ihnen stand. Schweigend. Sie sah, dass es ihnen schmeckte.
»Entschuldigung, Madame. Es ist unfassbar köstlich. Die beste Cotriade, die ich je gegessen habe. – Und ich habe viele gegessen.«
Wenn er wie jetzt etwas Wein
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