Bretonische Brandung
größere Sorgen gemacht.«
»Vielleicht ist der Akku leer.«
»Sie ist bei ihm vorbeigefahren und hat in seinem Büro angerufen. Auch da ist er noch nicht aufgetaucht.«
»Was wollte er auf den Inseln?«
»Angeln. Ein erfahrener Angler.«
»War er allein?«
»Seine Freundin sagt, er war immer allein auf dem Boot. Ich lasse uns ein Foto von Arthur Martin auf mein Smartphone schicken.«
Kadeg benutzte kein Handy, natürlich nicht, sondern ein Smartphone. Dupin konnte es schon nicht ertragen, wie Kadeg das Wort »Smartphone« aussprach, geschweige denn zu sehen, wie er sich aufspielte, wenn er es zum Einsatz brachte – mit all seinen sensationellen Funktionen.
»Ich sehe keine Hinweise darauf, dass der Vermisste einer der drei Toten hier sein könnte. Monsieur Martin wird sicher bald wieder auftauchen.«
Dupin wusste, dass die Rigorosität dieser Schlussfolgerung vorrangig seinem Unwillen geschuldet war, Kadeg hier einen Punkt machen zu lassen – dennoch: Auch von der Sache her ergab das alles keinen Sinn. Es handelte sich um einen einzelnen Mann. Es gab keinen Hinweis, dass er jemanden getroffen hatte. Und es war doch sehr unwahrscheinlich, dass gestern Nacht mehrere Boote an mehreren, vielleicht ganz unterschiedlichen Stellen mit jeweils einem Menschen an Bord gekentert waren und es drei Leichen an ein und denselben Strand getrieben hatte – oder?
»Ich halte das für einen seltsamen Zufall. Zu genau demselben Zeitpunkt haben wir drei noch nicht identifizierte Leichen und einen Vermissten. Eine Vermisstenmeldung, die genau das Gebiet betrifft, um das es geht. Es wäre grob fahrlässig, dem nicht nachzugehen.«
So formuliert klang es überzeugend, musste Dupin zugeben.
»In Ordnung.«
»Wir sollten einen der Hubschrauber anweisen, sich die Gegend um die Moutons anzusehen. Und zusätzlich noch ein Boot aus Bénodet oder Fouesnant anfordern. Die Moutons sind zwar unbewohnt, aber vielleicht liegen da Boote, die auch gestern schon da waren, und jemand hat Martins Boot gesehen.«
»Tun Sie das, Kadeg.«
Dupin legte auf. Vielleicht waren gestern doch aus irgendeinem Grund, den sie noch nicht kannten, zwei weitere Leute an Bord des kleinen Bootes des Mannes aus Île-Tudy gewesen? Sie wussten ja noch gar nichts.
Er schaute sich um. Madame Lefort war schon wieder zu sehen, sie kletterte gerade mit Geschick über die niedrige Mauer vom ersten zum zweiten Haus. Es dauerte nicht lange, und sie stand neben ihm.
»Der Schlüssel.«
Sie wirkte wieder vollständig gefasst.
Im nächsten Moment schloss sie die Tür auf.
Unmittelbar hinter dem Eingang stand man in einem geräumigen, offenen Raum, der Wohnzimmer und Esszimmer in einem war, nach vorn und hinten lagen die Panoramafenster, gegenüber der Eingangstür eine kleine, edel wirkende Küchenzeile.
»Lucas? Lucas? Bist du da?«
Es war nicht penibel aufgeräumt, aber auch nicht unordentlich. Madame Lefort stand etwas unschlüssig da.
»Es ist mir doch ein wenig unangenehm, einfach in das Haus meines Bruders zu gehen. Das würde ich normalerweise nicht tun.«
»Es ist in diesem Fall ganz – angemessen.«
Dupin hatte mit sanfter, aber fester Stimme gesprochen.
»Wenn Sie meinen.«
Muriel Lefort bewegte sich in Richtung der schmalen Holztreppe, die zum Dachgeschoss führte. Kommissar Dupin war fast genau in der Mitte des Raums stehen geblieben.
»Lucas? Ein Kommissar will dich sprechen.«
Sie stieg die Treppe hoch und verschwand einige Augenblicke in der oberen Etage, bevor sie wieder auf der Treppe erschien.
»Niemand da, Monsieur le Commissaire. Das Bett sieht unbenutzt aus. Auch das Bad. Er scheint hier nicht geschlafen zu haben.«
»Dann muss er noch in der Nacht zurückgefahren sein.«
»Wie gesagt, sein Boot liegt im Hafen. Er besitzt eines dieser albernen Speedboote. Er hat einen Platz direkt an der Mole.«
»Vielleicht ist …«
Dupin unterbrach sich. Das führte zu nichts. Alles war vollkommen spekulativ. Sie brauchten Klarheiten.
»Haben Sie ein Foto Ihres Bruders?«
Jetzt kam Madame Leforts Unruhe zurück.
»Halten Sie es nun etwa doch für möglich, dass mein Bruder einer der Toten ist?«
»Ich würde gern mit Gewissheit sagen können, dass er es nicht ist.«
»Er könnte bei jemand anderem übernachtet haben. Er …«
Jetzt brach Muriel Lefort ab.
»Ich hole Ihnen ein Foto.«
Sie verschwand wieder für kurze Zeit im Dachgeschoss und kam kurz darauf zurück.
Ȇber seinem Bett hing eines, mit seiner aktuellen Freundin. Glaube
Weitere Kostenlose Bücher