Bretonische Brandung
Gerichtsmedizin von Quimper befanden. Und was sollte er Lefort sagen, wenn er ihn nun hier anträfe? »Ich hatte irgendwie den Verdacht, Sie seien eine der drei Wasserleichen, auch wenn wir keine Hinweise darauf hatten – ich bin froh, dass Sie es nicht sind«? Eigentlich sprach tatsächlich alles für die sofortige Rückkehr nach Concarneau. Aber sosehr Dupin sich auch darüber ärgerte, er konnte nicht anders. Er öffnete das Tor und ging den Kiesweg entlang.
Die Eingangstür war genauso hässlich wie das Haus, aus Aluminium, mit einem Milchglasfenster im oberen Drittel. Auch hier keine Klingel. Dupin klopfte. Zunächst diskret, dann, nach einigem Warten, beherzter.
»Monsieur Lefort? Hallo?«
Dupin rief einige Male. Immer lauter.
»Commissariat de Police Concarneau.«
»Ich weiß nicht, ob er überhaupt da ist.«
Dupin fuhr zusammen. Direkt hinter ihm stand eine Frau. Er hatte nicht bemerkt, dass sich jemand genähert hatte, über den Kiesweg konnte sie nicht gekommen sein.
»Ich – Bonjour Madame – Kommissar Dupin, Commissariat de Police Concarneau.«
Die Frau war schätzungsweise Ende dreißig, hatte dicke, lange Haare, dunkelblond, in einem disziplinierten Zopf gebunden. Sie war ausnehmend dünn, mittelgroß, vornehm hohe, dabei gänzlich harmonisch laufende Wangenknochen in einem schmalen Gesicht. Sehr schmal, aber nicht hässlich. Gar nicht. Zurückhaltende, aber präsente, selbstbewusste Augen. Ein sichtlich enger schlammbrauner Tweedrock, eine ebenso enge strenge Bluse in einem dunklen Orange. Es wirkte drollig, wie sie angezogen war, irgendwie altmodisch.
»Ist Lucas etwas passiert? Worum geht es? Ich bin seine Schwester. Muriel Lefort.«
»Nein, gar nicht. Ich wollte nur …«
Das war noch schwieriger, als wenn es Lefort selbst gewesen wäre. Was immer er sagte, es würde ihr Angst machen.
»Sie müssen sich gar keine Sorgen machen, bestimmt.«
Dupin fühlte sich nicht wohl bei diesem Satz.
»Mein Bruder und ich waren verabredet, aber bisher ist er nicht aufgetaucht. Ich wollte nachsehen, ob er hier ist. Er geht nicht an sein Handy. Sein Boot liegt im Hafen. Deswegen müsste er auf der Insel sein. Eigentlich wohnt er in Sables Blancs, aber ab und zu ist er hier, auch wenn er nicht häufig über Nacht bleibt. Gestern Abend war er jedenfalls noch da.«
»Er war gestern Abend hier?«
»Ja. Ich habe ihn kurz im Quatre Vents gesehen. Aber nicht mit ihm gesprochen. Ich war nur ein paar Minuten da.«
»War Ihr Bruder allein?«
»Das kann ich nicht sagen. Er stand an der Bar und war im Gespräch mit einer Blondine. Warum suchen Sie meinen Bruder?«
Dupin hatte gehofft, um diese Frage herumzukommen.
Er war verwirrt. Lefort war gestern Abend hier gewesen. Yannig Konan ebenfalls? Waren Sie hier in der Gegend unterwegs gewesen, hatten Sie hier Station gemacht, wegen des Unwetters? Waren die beiden über Nacht auf der Insel geblieben? Wenn Lefort allein gewesen war, war das nicht eher ein Indiz dafür, dass Konan gar nicht mit Lefort unterwegs, sondern wirklich bei einer Frau gewesen war oder Ähnliches? Aber wo war Lefort?
»Haben Sie einen Schlüssel zum Haus Ihres Bruders?«
»Nicht hier. Ich kann ihn holen, ich wohne gleich nebenan.«
Dupins Telefon gellte. Er sah Kadegs Nummer. Er trat zur Seite und nahm ab.
»Wir haben eine Vermisstenmeldung. Sie ist gerade eben in Quimper eingegangen.«
Kadeg verhaspelte sich ein wenig, auch wenn er seine Worte angestrengt zu kontrollieren versuchte.
»Wer ist es?«
»Ein Monsieur Arthur Martin. Aus Île-Tudy, nicht weit von Bénodet. Er …«
»Wie alt?«
»Fünfundfünfzig.«
»Ich – warten Sie einen Augenblick, Kadeg.«
Dupin wandte sich Muriel Lefort zu, die ihn ängstlich ansah.
»Es geht um etwas ganz anderes, Madame Lefort. Um jemand anderen. Ausdrücklich.«
»Das ist gut zu hören. – – – Ich meine …«, sie brach verlegen ab, »ich gehe den Schlüssel holen.«
»Tun Sie das.«
Dupin wartete einen Moment, dann wandte er sich wieder Kadeg zu.
»Wer hat ihn vermisst gemeldet?«
»Seine Freundin. Er war gestern auf der Île aux Moutons. Sie gehört gar nicht zum Archipel, aber alle zählen sie dazu. Sie liegt fünf Seemeilen entfernt, Richtung Festland, etwas westlicher. Er wollte mit seinem Boot spätestens heute früh zurück sein. Kein richtig großes Boot, fünf Meter sechzig, mit dem er immer rausfährt. Mit einer Kabine immerhin. Die Freundin hat versucht, ihn über das Handy zu erreichen. Dann hat sie sich immer
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