Bretonische Brandung
agierenden Kellnerin bestellt. Vor ihm lag aufgeschlagen sein kleines Notizbuch. Es ging laut und solide zu. Der Tag war längst in vollem, unsentimentalem Gange, hier gab es nichts Gemächliches am frühen Morgen. Das ganz und gar unidyllische Café lag direkt an der Route Nationale, unmittelbar am vierten der dicht aufeinanderfolgenden rond-points der Zufahrt nach Quimper. Von hier aus waren es fünf Minuten zum kleinen Flughafen. Dupin kam nicht häufig hierher, aber er mochte es gern, und heute war es seine Rettung gewesen.
So früh es auch war, Dupin hatte bereits einiges hinter sich. Er war um zwanzig nach fünf aufgestanden – nachdem er erst um kurz nach halb zwei im Bett gewesen war und dann ohnehin fast die ganze Nacht wach gelegen und sich alle paar Minuten von der einen auf die andere Seite gewälzt hatte. Irgendwann hatte er das Gefühl gehabt, er hätte Fieber, wieder und wieder hatte er die Ereignisse des Tages überdacht, die Fakten, das wenige, was sie wussten. Ob es nicht Hinweise gab, die sie nur nicht gesehen hatten. Eine Spur. Er war sich dabei sehr wohl darüber im Klaren gewesen, dass es besser gewesen wäre, zur Ruhe zu kommen, zu schlafen. Dass es vollkommen unsinnig war, sich in einer solchen Verfassung den Kopf zu zermartern.
Er wäre auch schon früher aufgestanden, wenn er gewusst hätte, wie er an Koffein hätte kommen können, das Amiral machte erst um Viertel vor sieben auf, darüber hatte er schon einige Male mit Girard sehr ernst diskutiert. Dupins infam teure Espressomaschine aus Paris hatte von jetzt auf gleich den Geist aufgegeben, wie er beim letzten Notfall – denn das Amiral war jedes Jahr am 2. Januar geschlossen – hatte feststellen müssen.
Um Viertel vor sechs hatte Dupin Riwal angerufen, er wollte die Nummer des Bürgermeisters von Fouesnant haben. Ganz genau konnte Dupin sich nicht mehr an seine Gedankengänge erinnern, aber irgendwann in der Nacht hatte er entschieden gedacht, ihn sprechen zu wollen.
Und dann, letztendlich, hatte Dupin doch den Präfekten angerufen, um fünf nach sechs. Er würde sich ab jetzt einigermaßen regelmäßig melden müssen. Außerdem war ihm klar geworden, dass der Präfekt selbst eine relevante Person in diesem Fall war, wenn auch nur am Rande: Er war mit Konan befreundet gewesen. Die ersten fünf Minuten hatte Dupin die übliche Tirade über sich ergehen lassen – warum er sich nicht gemeldet habe am Vortag und dann jetzt plötzlich mitten in der Nacht, dass das keine seriöse Arbeitsweise sei … Dupin hatte nicht einen Moment lang wirklich zugehört. Er hatte gänzlich unbeteiligt zugesagt, der Präfektur sämtliche Verlautbarungen an die Presse zu überlassen und vor allem mindestens drei Mal am Tag Rapport zu erstatten bei diesem »vollkommen exzeptionell wichtigen Fall, der dringend einer schnellst-, schnellstmöglichen Aufklärung bedarf«. Der Präfekt hatte alle möglichen »desaströsen Szenarien« entworfen, was Dupin, ihm selbst, der Polizei des Finistère, dem kompletten Département blühte, wenn ihnen nicht eine rasche und vollständige Lösung des Falles gelänge. Dupin hatte gewartet, bis sich der cholerische Furor legte, und dann begonnen, seine eigenen Fragen zu stellen. Immer »im Interesse der schnellen Aufklärung«. Zunächst hatte Locmariaquer mit einigem Erstaunen, bei dem Dupin nicht wusste, ob es gespielt oder echt war, die Frage gestellt, inwiefern es von Bedeutung sei, was Konans Geschäfte waren und ob er Feinde gehabt hatte. Der Präfekt hatte dann aber erkennbar eingelenkt, und so war das Telefonat passagenweise zu einem waschechten Ermittlungsgespräch mit einem »Zeugen« geworden. Dupin hatte seinen Vorgesetzten zuletzt mit einem überaus freundlichen und formellen »Dank für die Unterstützung« perplex zurückgelassen und aufgelegt. Der Präfekt hatte sich bei dem Gespräch anscheinend zunehmend unbehaglich gefühlt. Es war ihm nämlich ab einem gewissen Punkt sehr daran gelegen gewesen, deutlich zu machen, dass Konan kein enger persönlicher Freund im strengen Sinne gewesen war, sondern ein ›Bekannter – eine gewichtige Figur in der Bretagne und darüber hinaus‹, mit der er aus gebotenen professionellen wie sozialen Gründen in einer guten Verbindung gestanden hatte. Dupin glaubte ihm, erstaunlicherweise. Ein paarmal hatte der Präfekt dann gar eine kritische Distanz zu Konan aufblitzen lassen. Er hatte erwähnt, dass Konan ab und zu mit dem Finanzamt »Probleme« gehabt hatte und dass das
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