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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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entscheidende Wissen darüber, worin die Zeichen bestanden und wie sie zu deuten waren.
    Monsieur du Marhallac’h – Nolwenn hatte ihn sofort erreicht – hatte Dupin gebeten, bei ihm zu Hause vorbeizukommen, wo er ein kleines Büro hatte. Es war ein unauffälliges Haus, eines der wenigen neuen. Ein vernünftiges Haus, nicht zu groß, nicht zu klein, nicht auffällig oder protzig, aber es machte schon etwas her. Es passte perfekt zu Du Marhallac’h, fand Dupin, es entsprach ihm auf kuriose Weise. Er war ebenfalls weder groß noch klein, weder dick noch dünn, besaß keine wirklich hervorstechenden Merkmale, war aber auch kein graues Phantom – ein ausgeprägter Durchschnitt.
    Das Büro befand sich in einem eckigen Anbau aus Holz, in den Garten hineingebaut. Die Einrichtung des Büros tendierte weit über das Unauffällige hinaus ins eindeutig Hässliche. Die tapezierten Wände waren in einer öden Pastellfarbe gestrichen und, vollkommen unmotiviert, am oberen Rand mit einer Art hellblauem Muster verziert. Es wimmelte von in bunte Plastikrahmen gesteckten Laienfotografien, die Motive aus Fouesnant und Umgebung zeigten.
    »Ich nehme an, es ist noch zu früh, Sie nach ersten Vermutungen darüber zu fragen, was auf den Inseln geschehen ist, Monsieur le Commissaire?«
    »Das ist es.«
    Dupin musste sich jetzt konzentrieren. Natürlich war er in Gedanken noch mit Medimare befasst. Aber er hatte schon gestern Abend das unbedingte Gefühl gehabt, dass er sich mit allen ständigen Gästen und Bewohnern dieser »wundersamen Welt da draußen« eingehend unterhalten sollte. Und der Bürgermeister war eine zentrale Figur in dieser Welt. Dupin hatte einige dringliche Fragen an ihn.
    »Unsere Aufgabe ist es zu wissen – nicht Vermutungen anzustellen.«
    Der Bürgermeister brauchte einen Moment, um darauf etwas zu erwidern.
    »Es ist vollkommen unvorstellbar. Alles, der ganze Fall! Vor allem die Idee, dass der Mörder die Tat vor unser aller Augen im Quatre Vents begangen hat. Ich war ja selbst da, vorgestern Abend, meine ich.«
    Der Bürgermeister unterbrach sich kurz und suchte den Blick des Kommissars, der mit einer Augenbewegung klarmachte, dass ihm das nichts Neues war.
    »Ich saß genau am Tisch neben den beiden. Mein Stammtisch. Es war ein ausgelassener Abend, wie immer im Quatre Vents – und in dieser fröhlichen Gesellschaft war ein Mörder unter uns. Eine Person mit solch böser Energie. Das übersteigt mein Vorstellungsvermögen.«
    Dupin hatte beim letzten Satz nicht richtig zugehört. Ihm war etwas eingefallen. Er suchte sein Notizbuch in der Jackentasche. Er hatte es sich aufgeschrieben, glaubte er. Er blätterte die Seiten seines Clairefontaine durch. Du Marhallac’h redete weiter, blickte aber immer irritierter zum Kommissar. »Marc Leussot, Meeresbiologe, auch Journalist«, das war es. Meeresbiologe. Vielleicht hieß es gar nichts. Aber das Wort »Meeresbiologie« hatte jetzt – am heutigen Morgen – eine neue Bedeutung erhalten.
    »Wenn Sie mich bitte einen Moment entschuldigen würden, Monsieur Du Mar… Monsieur le Maire.«
    Dupin stand auf und ging, ohne eine Antwort oder ein Zeichen des Bürgermeisters abzuwarten, zu der schmalen Tür des Anbaus und trat in den Garten hinaus.
    Er wählte die Auskunft.
    »Würden Sie mich bitte mit dem Institut Marine de Concarneau verbinden? Danke.«
    Es dauerte nur einen kurzen Augenblick.
    »Bonjour. Ich würde gern mit Monsieur Leussot sprechen.«
    Die helle Frauenstimme am anderen Ende der Leitung klang ausgesprochen freundlich.
    »Docteur Leussot befindet sich die meiste Zeit in Feldstudien auf dem Atlantik, er ist auch momentan nicht in seinem Büro.«
    »Wir sprechen doch von Marc Leussot, dem Forscher, Journalisten und – festen Angestellten des Instituts?«
    Die Antwort kam diesmal verzögert, die Frage war ungewöhnlich.
    »Oh ja. Docteur Marc Leussot.«
    »Dann danke ich Ihnen.«
    Dupin legte auf. Er hatte sich richtig erinnert. Und er hatte Interessantes erfahren. Leussot war ein fester Angestellter des Instituts.
    Der eigentlich doch nicht so kleine, offensichtlich penibel gepflegte Garten, den Dupin eben gar nicht näher beachtet hatte, wirkte trotz aller arrangierter Pracht kleinlich und unpersönlich, die Pflanzen wie abgezählt: zwei Kamelienbüsche, einmal in Weiß, einmal in zartem Rosa, ein Rhododendron, ein paar Mimosen, eine hochgeschossene Heckenrose, vereinzelte Schlüsselblumen, Narzissen, Azaleen, ein mickriger Wacholder. Ein prototypischer

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