Bretonische Brandung
dem das unumstößliche Gefühl lag, den Fall in der Hand zu haben.
Dupin und Riwal saßen noch ein paar Minuten zusammen und berieten sich. Dupin machte es kurz, er wollte, so schnell es ging, Muriel Lefort sprechen.
Inzwischen war auch die Presse eingetroffen, natürlich, sie war längst überfällig gewesen. Die Presse, das hieß: die beiden Chefreporter der Finistère-Sud -Redaktionen des Télégramme und des Ouest France. Der alte, beleibte und dabei nicht gerade große, somit fast runde Drollec, ein echter Gourmand, und die zierliche intellektuelle Mittdreißigerin Donal mit ihrer modisch eckigen schwarzen Brille (Dupin mochte das ungewöhnliche Paar irgendwie). Sie traten gezwungenermaßen häufig zu zweit auf, immer wenn es um eine »große Sache« ging. Beide waren betont wortkarg, wenn sie aufeinandertrafen, waren sich aber offenkundig auch nicht unsympathisch. Als hätten sie sich darauf geeinigt, die Versuche, »der Erste« zu sein, einzustellen und dafür gemeinsam an umso mehr Informationen zu gelangen. Ihr Arrangement funktionierte nicht schlecht, musste Dupin zugeben, was am Ende immer zu einem »Gleichstand« bei beiden Blättern führte. Im Augenblick befanden sie sich beim Leichenfundort auf Le Loc’h.
Dupin näherte sich den hässlichen dreieckigen Häusern über denselben Weg wie am Vortag, blickte dabei auf dasselbe atemberaubende Panorama unter dem überwiegend immer noch tief-atlantisch blauen Himmel. Dennoch war alles anders als gestern.
Dupin fiel auf, dass Muriel Leforts Haus nicht so gut in Schuss war wie das ihres Bruders, das Dach war bemoost, der letzte Anstrich musste eine Weile zurückliegen. Wie bei Lucas Lefort musste man einmal um das Haus herumgehen, um zum Eingang zu gelangen. Auch Muriel Leforts Garten bestand hauptsächlich aus buschigem Rasen. Zwei Kamelienbüsche, die allerdings nie richtig groß und prächtig geworden waren, standen ein wenig trist am Rande.
Bereits nach einem kurzen Klingeln öffnete sie die Tür. Ihre Haare wirkten zerzaust, das Gesicht noch schmaler, streng. Statt des eigenwilligen Tweedrocks mit der engen Bluse trug sie heute Jeans und eine weite hellblaue Tunika, was sonderbarerweise nicht dazu führte, dass ihr Äußeres lässiger wirkte. Das Altmodische, etwas Steife, ging Dupin durch den Kopf, rührte nicht von der Kleidung her.
»Gut, dass Sie da sind, Monsieur le Commissaire.«
Sie schien wirklich erleichtert.
»Selbstverständlich. Wie gesagt, auch ich habe eine Reihe Fragen an Sie.«
Auf ihrer Stirn erschienen tiefe Falten, die sie nicht zu verbergen versuchte.
»Wo fange ich an?«, man merkte, dass ihr das Reden schwerfiel. Es dauerte einen Augenblick, bis es ihr gelang, weiterzusprechen.
»Ich muss Ihnen etwas mitteilen«, sie unterbrach sich noch einmal, »Maela Menez hatte eine Affäre mit meinem Bruder«, sie klang jetzt gleichermaßen dramatisch wie bedrückt, »vor sieben Jahren. Sie hat versucht, sie geheim zu halten, aber natürlich habe ich es bemerkt.«
Muriel Lefort blickte betreten zu Boden. Sie standen immer noch im Eingang, was sie erst jetzt zu realisieren schien.
»Entschuldigen Sie – ich wollte nicht unhöflich sein. Kommen Sie doch bitte herein.«
Dupin hatte zunächst keine Reaktion gezeigt. Jetzt trat er ein.
»Ihre Assistentin hatte eine Liaison mit Ihrem Bruder?«
Darauf wäre er nicht gekommen. Madame Lefort führte Dupin zu der kleinen Sitzgruppe aus vier Sesseln, direkt vor der großen Panoramascheibe, die zur Terrasse führte.
»Es tut mir aufrichtig leid, dass ich es Ihnen nicht früher erzählt habe, es ist mir äußerst unangenehm. Die Affäre ging sogar über einige Monate.«
»Und danach war es einfach so vorbei?«
»Ja. Sie hat es mir geschworen. Und ich hätte es gemerkt, glauben Sie mir. Sie hat es beendet. Sie ist fast zusammengebrochen, als ich sie zur Rede gestellt habe, sie war restlos aufgelöst. Sie hat sich auf diese Beziehung eingelassen, obwohl sie wusste, dass es für sie etwas anderes war als für ihn.«
»Was meinen Sie damit?«
»Sie war wirklich verliebt. Und er hat sich nicht im Geringsten für sie interessiert.«
»Ihr Bruder verkörperte, wenn ich es richtig verstehe, in jeder Hinsicht das Gegenteil von Madame Menez’ Überzeugungen, die ja anscheinend sehr klar und streng sind.«
Dupin hatte selbst genug erlebt, um zu wissen, dass diese Tatsache nichts zu bedeuten hatte.
»Es war Verrat. Ja.«
Das harte Wort stand in einem seltsamen Kontrast zu der Art und Weise,
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