Bretonische Brandung
wie Madame Lefort es ausgesprochen hatte, fast en passant.
»Gab es seitdem noch irgendeine Form des Kontaktes zwischen den beiden, die über das Geschäftliche hinausging? Ist in letzter Zeit irgendetwas passiert?«
»Nein. Überhaupt nichts. Sie hat mir versichert, dass es seitdem keinerlei Vorkommnisse gab. Keinen Eklat, nichts. Ich glaube ihr.«
»Sie hat ihm nicht geschrieben, nicht versucht, mit ihm zu reden?«
»Nein. Auch wir haben irgendwann nicht mehr darüber gesprochen. Es war, als wäre es nie passiert. Ich glaube, darauf haben sie und ich uns unausgesprochen geeinigt.«
Ihr Ton hatte nichts Unversöhnliches an sich, sondern fast etwas Verständnisvolles.
»Und was denken Sie persönlich über diese Affäre?«
»Ich?«
Sie wirkte überrascht.
»Es hat mich sehr getroffen, wie Sie sich vorstellen können.«
Dupin war nicht klar, ob Muriel Lefort das Ganze so unangenehm war, weil sie Madame Menez mit dieser Mitteilung in den Augen der Polizei möglicherweise verdächtig machte oder weil sie annahm, dass sie dadurch selbst noch verdächtiger wurde, weil sie diese Information bisher zurückgehalten hatte. Eine längere Pause entstand. Dupin wollte sie reden lassen. Muriel Lefort wirkte so, als gäbe es noch etwas anderes, das sie erzählen wollte. Aber es folgte nichts mehr.
»Ich danke Ihnen für diese Mitteilung. Ich weiß selbst nicht, ob diese Geschichte von Relevanz ist, aber mir ist alles daran gelegen, in einem derart verwickelten Fall so viele Informationen wie möglich über jede Person zu erhalten.«
Sie schwieg immer noch.
»Sie sprachen am Telefon von mehreren Punkten.«
»Ja.«
Sie klang nun wieder gefasster, Dupins Hilfestellung schien zu funktionieren.
»Ich wollte Ihnen persönlich sagen, dass ich vom Tod meines Bruders sehr profitieren werde. Man hat mich heute Nachmittag davon in Kenntnis gesetzt, dass Lucas kein Testament gemacht hat und ich daher alles erben werde. Wir haben immer noch denselben Notar, er und ich. Die Segelschule und der Grundbesitz werden also allein mir gehören.«
Diese Sätze waren fast aus ihr herausgeschossen. Sie hatte Dupin dabei direkt in die Augen geblickt. Er hatte versucht, äußerlich indifferent zu bleiben.
»Ihr Inspektor hatte mich bereits zwei Mal danach gefragt.«
»Wir arbeiten eng zusammen.«
»Ich weiß nicht, ob Sie auch bereits erfahren haben, dass ich meinem Bruder mehrere Male das Angebot gemacht habe, ihm seinen Anteil an den Glénan abzukaufen. Vollkommen unvernünftige Angebote.«
»Auch das weiß ich bereits.«
Sie schaute ihn ängstlich-erwartungsvoll an.
»Ich meine, das wäre doch ein perfektes Motiv: Mein Bruder sticht in grenzenloser Selbstüberschätzung und betrunken bei einem heraufziehenden Sturm in See und erleidet Schiffbruch – es hätte niemanden verwundert. Alle wussten, wie überheblich er war. Und am nächsten Tag gehört die Segelschule mir.«
Dupin schwieg. Ein Schweigen, das Muriel Lefort nicht lange aushielt.
»Was denken Sie, Monsieur le Commissaire?«
»Das wäre beinahe ein perfekter Mord geworden, ja. Der Zufall wollte es anders.«
»Bin ich verdächtig?«
»Das sind Sie.«
Jetzt schwieg Madame Lefort. Es war ein bleiernes Schweigen, ihre Gesichtszüge waren konturlos geworden. Die Stimme ganz brüchig.
»Ich habe meinen Bruder nicht gehasst, glauben Sie mir«, sie sprach jetzt sehr leise, »aber ich habe ihn verachtet. Ja. Und bekämpft. Weil er das Werk meiner Eltern zerstört hätte, wenn er gekonnt hätte, ihre großen Ideen. Meine Eltern waren beide in der Résistance, als junge Menschen. Sie haben im Geist ihrer Gruppe die Glénan für sich und ihr Leben gewählt und wollten mit dem Segeln und der Schule diesen Geist weitertragen. Sie haben an etwas geglaubt, ihr Leben dafür eingesetzt, und das hier ist ihr Vermächtnis. Sie standen mit allem, was sie waren, dafür. Sie wollten daraus nie ein Unternehmen machen. Selbst als immer mehr Menschen von überall her kamen und ihnen bewusst wurde, dass man damit viel Geld verdienen könnte.«
»Sie erben nicht nur den Teil der Segelschule, der Ihrem Bruder gehörte, sondern auch das Land – mehr als die Hälfte von Saint-Nicolas, wenn ich das richtig verstehe, und die Inseln Cigogne und Penfret?«
Dupin hatte seine Frage bewusst nonchalant gestellt.
»Ja.«
Er schaute sie an. So neutral wie möglich.
»Und Sie hätten sich nicht nur Ihres Bruders entledigt. Sie hätten mit einem Streich alle aus der Welt geschafft, die das hier
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