Bretonische Brandung
tropfenförmige Insel angestrengt mit den Augen abzusuchen. Brilimec war kaum länger als hundertfünfzig Meter und vollständig mit dichten, struppigen Gräsern bewachsen. An einigen Stellen erhob sie sich auf vielleicht zehn Meter – was schon viel war für den Archipel –, einige mächtige und bizarre Granitsteinformationen ragten steil auf. Am breiteren Ende der Insel lag ein verlassenes Haus, von dem vom Schiff aus nur der obere Teil des Daches zu erkennen war.
»Ich fahre um die Insel herum, zu Le Menns Boot«, rief Goulch.
Plötzlich fiel Dupin etwas ein. Er wandte sich zu Riwal.
»Ich muss etwas wissen.«
Er musste schreien.
»Ja?«
»Wer von uns ist auf Saint-Nicolas?«
»Im Moment nur einer. Philippe Le Coz.«
»Ich muss ihn sofort sprechen.«
Dupin bewegte sich ins Heck und wartete, bis Goulch die Motoren etwas gedrosselt hatte, weil sie die Insel nun fast umrundet hatten. Von hier aus konnten sie Le Menns Boot deutlich sehen.
»Le Coz?«
»Monsieur le Commissaire, sind Sie es?«
»Ja.«
»Ich höre Sie wahnsinnig schlecht.«
Dupin schrie noch lauter ins Telefon.
»Ich will wissen, wo sich alle gerade aufhalten. Hören Sie? Muriel Lefort, Madame Menez, der Bürgermeister, Leussot, Tanguy. Auch Madame Barrault und Solenn Nuz. Rufen Sie alle sofort an. Verifizieren Sie, was sie sagen. Wie immer Sie das machen. Lassen Sie sofort Bellec kommen, um Ihnen zu helfen.«
»Ich …«
»Sofort. Und auch die Nuz-Töchter. Ich muss es von allen wissen.«
»Jawohl, Monsieur le Commissaire.«
»Melden Sie sich.«
Dupin legte auf. Er war schon dabei, das Handy zurück in die Jacke zu stecken, hielt inne und drückte die Wahlwiederholung.
»Noch etwas, Monsieur le Commissaire?«
»Ich will außerdem wissen, wo sie heute den Tag verbracht haben. Ganz detailliert. Alle. Die letzten Stunden. Was sie gemacht haben. Auf den Inseln oder wo auch immer sie waren.«
Goulch hatte die Motoren heruntergefahren, Dupin hatte den letzten Satz dennoch aus Versehen geschrien, vollkommen auf Le Menns Boot fixiert, das in absurd aussehender Weise weit oben auf einem kleinen Stück Strand lag.
»Geht es Ihnen um etwas Bestimmtes?«
»Nein. Ich muss es nur von allen wissen.«
»Verstanden.«
Dupin legte wieder auf, und dieses Mal verstaute er sein Handy tief in der Tasche.
Die Motoren erstarben. Bis zum Ufer waren es vielleicht fünfzig Meter, der Anker wurde gesetzt, die beiden jungen Polizisten waren mit perfekt eingespielten Griffen bereits dabei, das Beiboot hinunterzulassen, und einen Moment später fuhren sie in ansehnlichem Tempo auf den Strand auf. Es gab einen starken Ruck. Die beiden Polizisten sprangen augenblicklich aus dem Beiboot, Dupin kletterte hinterher und mahnte: »Wir haben keine Ahnung, was sich hier abspielt. Seien Sie vorsichtig.«
Er zog seine Waffe aus dem Gürtelhalter, eine 9mm Sig Sauer, die nationale Polizeiwaffe. Die anderen taten es ihm gleich.
Die kleine Gruppe näherte sich zügig dem Boot.
»Police de Concarneau – hallo? Ist hier jemand? Bitte geben Sie ein Zeichen.«
Keinerlei Reaktion.
Die beiden jungen Polizisten kletterten umgehend auf die Merry Fisher. Riwal, Goulch und Dupin stellten sich, ohne ein Wort zu sagen, daneben. Das strahlend weiße, nur unten am Rumpf dunkelblaue Boot schien in Dupins Augen aus der Nähe überraschend groß. Auf dem Deck war nichts Auffälliges zu sehen.
»Wir gehen rein.«
Den jungen Kollegen war ihre Aufregung anzumerken. Sie öffneten die Tür zur Kajüte und waren einen Augenblick später verschwunden.
Immer noch sprach keiner ein Wort. Dupin fand, dass es ziemlich lange dauerte, bis die beiden Nachricht gaben.
»Hier ist nichts Besonderes zu sehen.«
Die Stimmen waren nur dumpf zu hören.
»Kommen Sie wieder heraus. Wir suchen die Insel ab.«
Dupin hatte fast gebrüllt, deutlich leiser wandte er sich an Riwal und Goulch.
»Riwal, Sie gehen rechtsherum. Goulch, Sie links-. Ich nehme mir das verlassene Haus vor, wir treffen uns dort. Goulch, sagen Sie Ihren beiden Kollegen, sie sollen die Boote bewachen.«
Dupin und Riwal setzten sich unmittelbar in Bewegung. Goulch wartete noch.
Dupin musste zunächst ein paar hohe Granitfelsen erklimmen, die zu einer Art Plateau führten, das nach einigen Schritten sacht zur Mitte der Insel hin abfiel, wo das Gelände relativ eben war. Dort stand das Haus. Vom Plateau aus war es bereits gut zu erkennen. Dupin blieb stehen und schaute sich mit scharfem Blick um. Links des Plateaus bewegte
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