Bretonische Verhältnisse
sehen.«
Glavinec stand auf, streckte dem Kommissar wortlos die Hand entgegen und ging. Riwal und Dupin blieben allein im Zimmer zurück.
»Tja.« Dupin stand ebenfalls auf und wandte sich zum Gehen. Er musste schmunzeln. Es war in gewisser Weise eine sehr bretonische Konversation gewesen. Insgeheim mochte er den Koch. Und hatte beschlossen, irgendwann einmal zum Essen hierhin zu kommen. Er hatte viel erfahren.
»Was denken Sie, Monsieur le Commissaire, es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht irgendjemand irgendetwas gesehen oder gehört hätte gestern Abend?«
Dupin wollte sagen, dass er es schon häufig mit dem Teufel hatte zugehen sehen, verkniff es sich aber.
»Das wird sich zeigen. Niemand betritt die Räume unten, Riwal. Wenn die Kollegen fertig sind, sperren wir alles ab. Ich werde jetzt die Pennecs aufsuchen.«
Dupin ging.
Riwal kannte das. Die Manie des Kommissars, den Tatort, selbst wenn es sich um öffentliche Orte handelte, auf unbestimmte Zeit absperren zu lassen, weit über die Notwendigkeiten der Forensiker hinaus. So lange, bis er dachte, es sei nun nichts Neues mehr zu erfahren. Das führte jedes Mal zu faustdickem Ärger. Diese Praxis war durch keinerlei polizeiliche Bestimmungen gedeckt. Der Kommissar hatte, prinzipiell, seine eigenen Vorstellungen. Riwal wusste, Diskussionen waren sinnlos. Außerdem hatte er gelernt, dass Dupins unorthodoxes Vorgehen unter Umständen zu Erstaunlichem führte. Im Zuge von Dupins ersten Ermittlungen in der Bretagne hatte es ruppige Auseinandersetzungen mit allen möglichen Leuten gegeben, nicht nur mit Locmariaquer, und nicht immer war Dupin als Sieger hervorgegangen. Doch nach ersten Erfolgen als Kommissar, vor allem nach der Aufklärung der spektakulären Morde an zwei Thunfischfischern in seinem zweiten Jahr, die die Bretonen nachhaltig bewegt und Dupin zu einer durchaus prominenten Person in der Region gemacht hatte, war es seltener zu Auseinandersetzungen gekommen.
Das Central lag am Place Paul Gauguin, dem kleinen hübschen Hauptplatz des Ortes, es war ein schönes, strahlend weiß gestrichenes Gebäude, vom Ende des 19. Jahrhunderts. Man sah ihm in allem an, dass es die ganzen Jahrzehnte über liebevoll und sorgfältig gepflegt worden war. Es lag direkt neben dem deutlich größeren Hotel Julia , dem berühmten Hotel der Julia Guillou, das später zur Bürgermeisterei geworden war und in dem sich seit einigen Jahren ein Teil des Kunstmuseums von Pont Aven befand. Vor den Hotels standen immer noch die wunderbaren Platanen, die Julia Guillou gegen den erbitterten Widerstand des Gemeinderates dort hatte pflanzen lassen, um ihren Gästen, den Künstlern, im Sommer auf der Terrasse etwas kühlenden Schatten zu spenden.
Loic Pennec und seine Frau wohnten in der Rue Auguste Brizeux, nicht weit vom Central entfernt, wie in Pont Aven nichts weit entfernt war vom Central . Kommissar Dupin war froh, ein paar Schritte gehen zu können. Auch, weil er unbedingt noch einen café brauchte. Er brauchte immer viel Kaffee, sehr viel Kaffee, und, das fühlte er, heute besonders. Ohne eine hinreichende Menge Koffein funktionierte sein Gehirn nicht, davon war er fest überzeugt.
Dupin überquerte den Aven über die alte, berühmte Steinbrücke und bog scharf links in die Rue du Port ab, die geradewegs zum Quai hinunterführte. Sie mündete direkt in die Rue Auguste Brizeux. Hier erhoben sich zu beiden Seiten des sagenumwobenen Avens imposante Hügel, und hier begann der Hafen. Die Menschen hatten damals, das musste Dupin zugeben, einen großartigen Platz für ihre Siedlung ausgewählt, die Stelle, an der der Aven ins Meer floss – genauer: die Stelle, an der der Fluss, der sich zunächst wie ein Bergflüsschen durch ein verschlungenes Tal bis hierher gewandt hatte, eine Art Fjord wurde, der dann über sieben Kilometer in pittoresker Weise bis zum offenen Meer mäanderte, sich in unzähligen Seitenarmen verästelte und zuweilen malerische Seen bildete. Durch das Diktat der Gezeiten war er unlöslich mit dem Meer verbunden.
Im Sommer wimmelte es in Pont Aven nur so von kleinen Bars und Cafés, Dupin fand, dass sie alle gleichermaßen schrecklich aussahen. Fast schon am Hafen entschied er sich für eines, das ohne großformatig aufgezogene Fotos von Crêpes und Kuchen auskam. Der café kam schnell, dafür war er stechend bitter. Er half dennoch ein wenig, aber Dupin bestellte keinen zweiten. Er dachte nach. Er hatte keine richtige Vorstellung von Madame Lajoux
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