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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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am Central vorbei, auch wenn er dafür durch die Menschenmengen musste.
    Dupin klopfte an die schwere alte Holztür. Das kleine Fenster daneben stand weit offen.
    »Kommen Sie herein. Die Tür ist nicht verschlossen.«
    Dupin öffnete die Tür und trat ein. Wie bei seinem ersten Besuch fand er es urgemütlich. Die untere Etage des hübschen alten Steinhauses war ein einziger großer Raum, Wohnzimmer, Esszimmer, Küche in einem. Es war dem Haus von Beauvois nicht unähnlich, vielleicht ein Stück kleiner, und doch wirkte es ganz anders. Die Atmosphäre war eine andere.
    »Ich wollte gerade etwas essen.«
    »Oh, entschuldigen Sie. Ich komme ganz und gar ungelegen. Ich habe mich nicht einmal angekündigt.«
    »Setzen Sie sich zu mir.«
    »Ich habe nur ein paar Fragen, ich will Sie nicht lange aufhalten.«
    Dupin wusste selbst nicht, ob er damit sagen wollte, ja, ich setze mich, oder nein, ich bleibe lieber stehen, ich bleibe ohnehin nur kurz. Er setzte sich. Auf dem alten Holztisch fast genau in der Mitte des Raums stand ein Teller mit Langustinen, ein Glas mit Rillettes Saint-Jacques, Mayonnaise und eine Flasche Muscadet. Daneben ein Baguette (ein »Dolmen«, Dupins Lieblingsbaguette). Er bemerkte das alles so genau, weil er plötzlich spürte, dass er gewaltigen Hunger hatte.
    Delon war zu dem alten Schrank neben dem Herd gegangen und hatte wortlos einen zweiten Teller und ein zweites Glas geholt und vor Dupin auf den Tisch gestellt. Dupin war sehr dankbar. Auch er hatte nichts dazu gesagt. Er nahm sich etwas Brot, ein paar Langustinen und begann sie zu puhlen.
    »Pierre-Louis kam auch manchmal hierher. Dann saßen wir so wie wir jetzt. Er hat es gemocht, so hier zu sitzen. Baguette auf dem Tisch, ein paar einfache Dinge.«
    Delon lachte, sentimental, ganz warm. Gemessen an der wortkargen Unterhaltung von vorgestern schien er geradezu gesprächig.
    »Ich nehme an, Sie wissen von dem Bild?«
    Delon antwortete mit derselben Ruhe, mit der er die ganze Zeit gesprochen hatte.
    »Es hat mich nie interessiert. Er war froh, dass es mich nie interessiert hat.«
    Dupin hatte es nicht anders erwartet. Damit waren es sieben, die von dem Bild gewusst hatten. Mindestens.
    »Warum hat es Sie nicht interessiert?«
    »Ich weiß nicht. Alle schwirrten um ihn herum wegen dem Bild.«
    »Was meinen Sie genau?«
    »Alle sahen das Geld. Dass etwas davon ihnen gehören könnte eines Tages. Oder das ganze Bild … Ich glaube, manchmal hat er das gesehen. So viel Geld, das verändert alles.«
    »Was hat er gesehen?«
    »Dass sie alle das Bild wollten.«
    »Und wer wollte das Bild?«
    Delon schaute Dupin erstaunt an.
    »Alle. Sein Sohn, seine Schwiegertochter, Lajoux, ich weiß nicht einmal, wer es alles wusste. Beauvois, ja, der auch. Sein Halbbruder.«
    »Aber er hat doch nie vorgehabt, es zu verkaufen.«
    »Nein, aber es ist da gewesen, immer, verstehen Sie? Und wer weiß, hat sich jeder gedacht. Wer weiß.«
    Delon klang plötzlich traurig.
    »Und denken Sie, einer könnte zum Mörder geworden sein?«
    Wieder lag Erstaunen in Delons Blick.
    »Jeder vielleicht, denke ich.«
    Das hatte Delon ganz ungerührt gesagt.
    »Sie trauen all diesen Personen einen Mord zu?«
    »Wie viele Millionen ist das Bild wert?«
    »Vierzig Millionen, vielleicht mehr.«
    Dupin blickte Delon an und wartete auf eine Antwort. Delon griff nach dem Muscadet und füllte beide Gläser bis zum Rand.
    »Ich wäre mir nur bei wenigen Menschen sicher, dass sie dafür nicht zum Mörder würden.«
    In Delons Stimme war kein bisschen Zynismus oder Resignation, er formulierte es ganz ruhig, als allgemeine Tatsache.
    Dupin dachte im Grunde genauso.
    »Sie haben alle gewartet, bis er endlich starb. An diesen Tag haben sie alle gedacht, die ganze Zeit. So viel ist sicher.«
    Es entstand ein längeres Schweigen. Beide aßen.
    »Alle wollten das Bild – und keiner sollte es bekommen.
    Wussten Sie von Pierre-Louis Pennecs Vorhaben, das Bild dem Musée d’Orsay zu überlassen, als Schenkung?«
    Zum ersten Mal zögerte Delon etwas.
    »Nein. Hatte er das vor, ja? Das ist eine gute Idee.«
    Dupin lag auf der Zunge, zu sagen, dass genau diese gute Idee Pennecs vielleicht das Geschehen ausgelöst hatte, das mit seiner Ermordung endete. Als er von seinen schweren Herzproblemen erfuhr, hatte er sich sofort an das Musée d’Orsay gewandt – und genau davon musste jemand gewusst haben, der die Schenkung verhindern wollte. Der handeln musste, bevor es so weit kam.
    Dupin schwieg. Delon hatte

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