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Bretonische Verhältnisse

Bretonische Verhältnisse

Titel: Bretonische Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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mittlerweile gekommen. Alles sah wunderbar aus. Dupin war richtiggehend schlecht vor Hunger. Sie begannen schweigend zu essen.
    Madame Cassel sprach als Erste wieder:
    »Das wird alles noch komplizierter für Sie machen, nicht wahr? Alle Welt wird auf Ihre Ermittlungen schauen.«
    »Ich hoffe, Sauré wird den ›Fall‹ so wenig wie möglich erwähnen. Aber ja, das wird alles noch komplizierter machen. Vor allem, weil der Mörder dann weiß, dass wir alles wissen. Ich habe es lieber, wenn unklar ist, wer was weiß.«
    »Ich verstehe.«
    »Wie verkauft man eigentlich ein solches Bild?«
    »Sie müssen die richtigen Leute kennen – oder kennenlernen, dann ist das viel einfacher als Sie denken.«
    »Und wo sitzen die? Wer sind die?«
    »Oh, das sind private Sammler. Verrückte. Mächtige. Reiche. Überall auf der Welt. Sie gehören zu einem – natürlich offiziell nicht existierenden – losen Kreis.«
    »Der sich nie und nimmer mit der Polizei abgeben würde.«
    »In dieser Welt ist vieles nicht legal. Einem passionierten Sammler ist es meist gleichgültig, wo ein Bild herkommt, auf welche Art und Weise es verfügbar wurde. Es geht extrem ›diskret‹ zu.«
    »Wir müssen das Bild finden, bevor es auf den Markt kommt. Das ist unsere einzige Chance.«
    »Ganz sicher. Denken Sie, es ist noch hier – ich meine, in Pont Aven, in der Nähe?«
    »Heute Abend haben wir eine zweite Kopie des Bildes gesehen.«
    »Was? Eine zweite Kopie der zweiten Vision ?«
    »Ja. Gemalt von einem Epigonen aus der Künstlerkolonie. Gilbert Sonnheim. Die Kopie ist wohl nur wenige Jahre nach der Entstehung des Gauguins angefertigt worden.«
    »Ja, ich kenne Sonnheim. Es war nicht ungewöhnlich, dass ›Schüler‹ große Bilder der Meister kopierten, zum Studium. Auch in der Künstlerkolonie nicht.«
    »Oder die Kopie wurde in Auftrag gegeben.«
    »Auch das wäre nicht ungewöhnlich. Die Besitzer solcher Bilder machen das sehr gerne.«
    »Wir wissen es im Augenblick nicht.«
    »Und wer war im Besitz dieser Kopie?«
    »Auch das wissen wir nicht. Wahrscheinlich der Mörder. In der Nacht, in der …«
    Dupin kapitulierte.
    Er hatte vorgehabt, die ganze Geschichte zu erzählen, angefangen von ihrem Besuch bei Beauvois, aber er wusste gar nicht, was und wie er erzählen sollte. Er war heute Abend nicht mehr in der Lage, kompakt und verständlich zu formulieren. Es kam ihm selbst alles abstrus vor.
    Marie Morgane Cassel schaute auf die Uhr.
    »Lassen Sie. Ein anderes Mal. Es ist fast Mitternacht. Ich muss nach Brest zurück. Meine Vorlesung morgen früh. Ich muss mich noch vorbereiten. Die Fauvisten, Matisse und die ganze Gruppe …«
    »Ich zahle rasch.«
    Dupin stand auf und ging ins Restaurant.
    Als er zurückkam stand Madame Cassel am Rand der Mole und blickte auf den Aven. Die Flut hatte mittlerweile ihren höchsten Stand erreicht. Es war jetzt richtig dunkel geworden.
    Plötzlich, ganz jäh, war aus dem Silber des Avens – das bis zum letzten Quäntchen Licht gleich stark geschimmert hatte – ein massiges, tiefes Schwarz geworden. Es hatte keinen Übergang gegeben. Über dem Fluss und hin zum Meer, überall war nur noch diese fast stoffliche Dunkelheit, die alles schluckte.
    »Es ist ein besonderer Ort.«
    Ja, dachte Dupin. Er sammelte gewisserweise »besondere Orte«, Orte, an denen etwas ganz außergewöhnlich war; seit Langem schon, seit er ein Kind gewesen war (er hatte Listen gemacht, über viele Jahre); Kerdruc gehörte dazu. Zu den besonderen Orten.
    Ein paar Minuten später waren sie zurück am Hafen in Pont Aven, Dupin parkte seinen Wagen direkt neben dem von Marie Morgane Cassel. Madame Cassel wirkte sehr matt. Sie verabschiedeten sich ohne viele Worte. Dupin wartete, bis sie gewendet hatte und mit beeindruckendem Tempo die Rue du Port hochfuhr.
    Er lief noch einmal zum Hotel. Kadeg hatte sich nicht gemeldet, was bedeutete, dass André Pennec noch nicht zurück war. Er hatte es sich gedacht. So hatte er André Pennec eingeschätzt. Aber auch abgesehen von dem Gespräch mit Pennec, es gab eigentlich noch viel zu tun. Vor allem sollte er den Artikel im Figaro besser persönlich beim Präfekten ankündigen. Er konnte sich das echauffierte Gespräch genau vorstellen. »Wie kann es sein, dass dahergelaufene Journalisten den Stand der Ermittlungen kennen und ich nicht? Was ist das für ein polizeiliches Vorgehen, von dem öffentlich in der Zeitung berichtet wird?« Die Sache mit dem Gauguin war zu groß. Er hatte den Präfekten die

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