Brezeltango
Geheimnisse für sich behalten sollte?
»Ach, wirklich?«, flüsterte Leon und rückte näher an mich heran.
Ich schob meine Hand auf seinen Bauch und seufzte erleichtert. Der Bauch war wie immer. Nicht der Mount Everest aus dem grässlichen Traum, sondern Leons kleiner, sympathischer Bauch an einem ansonsten vom Joggen durchtrainierten Körper. Leon nahm meine Hand und schob sie langsam tiefer, ganz allmählich entspannte ich mich und nur noch Leon und ich passten in das große Bett, der Albtraum hatte keinen Platz mehr ...
Später lauschte ich Leons Schnarchen, nachtischlöffelchenmäßig an seinen Rücken gekuschelt. Leon schnarchte nicht richtig laut, es war mehr so ein Schnürpf-pffff, wie das leise Grunzen eines neugeborenen Ferkels. Sehr gemütlich. Ich würde versuchen, nicht mehr einzuschlafen. Draußen war es jetzt taghell, und bald würde der Wecker klingeln, weil Leon zu Bosch nach Schwieberdingen musste. Es war grauenhaft, aus dem Schlaf gerissen zu werden, wenn man gerade erst wieder eingeschlummert war. Ich fühlte mich dann den ganzen Tag wie ein Zombie. Stattdessen würde ich lieber wach bleiben und den Traum analysieren. Danach würde ich mich auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer schleichen, duschen, beim Bäcker Laugenweckle holen, und wenn Leon aufstand, würde es nach frischem Kaffee duften und er würde sich selbst beglückwünschen, dass er so eine großartige, fürsorgliche Freundin hatte.
Als ich wieder aufwachte, lag ich allein in dem großen Bett. Kein Wunder. Der Wecker zeigte zehn Uhr. Auf dem Fußboden – da Leon keine Bücher las, benötigte er auch keinen Nachttisch – stand eine knallgelbe Thermoskanne, daneben eine Tasse, Milch, Zucker und ein Tellerchen mit Schokoladenkeksen. Verschlafen angelte ich nach dem Zettel, der unter der Tasse lag: »Guten Morgen, meine Süße. Du hast so fest geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte (kein Wunder – grins). Wir sehen uns heute Abend im Kino. Freu mich auf dich! Kuss, Leon.« Darunter hatte er ein wackliges Herz gemalt.
Okay. So viel zum Thema fürsorgliche Freundin. Ich goss mir Kaffee ein, kuschelte mich mit einem Schokokeks in der einen und der Kaffeetasse in der anderen Hand wieder in die Kissen und beschloss, erst aufzustehen, wenn ich den schrecklichen Traum vollständig durchdacht und ad acta gelegt hatte. Lila hatte mir mal aus einem Buch über Traumforschung vorgelesen. Darin stand, dass man alle Träume, die man nicht bewusst bearbeitete, immer wieder träumte, bis man endlich kapierte, was sie einem sagen wollten. Ha! Das würde mir nicht passieren. Reflektiert, wie ich war, würde ich dem grauenhaften Traum sofort den Garaus machen.
Leon und ich waren gerade mal ein paar Wochen zusammen. Alles lief wunderbar. Wir waren schrecklich verliebt, konnten die Hände nicht voneinander lassen und es war einfach fabelhaft, nach einer langen Single-Phase endlich wieder einen Freund zu haben. Leon hatte beispielsweise, ohne dass ich ihn lange bitten musste, den Klokasten in Lilas Wohnung repariert!
Lila war meine beste Freundin. Vor ein paar Monaten war ich zu ihr gezogen, in ihr schnuckeliges Häuschen in der Pfeiffer’schen Siedlung im Stuttgarter Osten. Das war kurz nachdem ich mich mit Leon zerstritten hatte. Mit ihm wohnte ich vorher Wand an Wand in der Reinsburgstraße in Stuttgart-West. Im Nachhinein war der Umzug natürlich reichlich dämlich, jetzt, da Leon und ich ein Paar waren. Ich hatte aber auch keine große Wahl gehabt. Die Vermieterin, der das ganze Mietshaus gehörte, hatte mir wegen Eigenbedarfs gekündigt. Seither stand die Wohnung leer und wurde angeblich für die Nichte der Vermieterin renoviert, die an der Hochschule der Medien in Vaihingen studieren wollte. Die Nichte war aber bisher von niemandem im Haus gesichtet worden. Wie Leon im Treppenhaus von Frau Müller-Thurgau erfahren hatte, ohne dass er fragen musste, gab es nicht den leisesten Hinweis auf Renovierungsarbeiten, keine Farbeimer, keine Handwerker und keine Bohrgeräusche. Ich hatte ja von Anfang an den Verdacht gehabt, dass die Vermieterin mich loswerden wollte, weil ich arbeitslos war. Sie hatte Angst, ich könnte eines Tages meine Miete nicht mehr bezahlen.
Andererseits wohnte ich schrecklich gerne bei Lila und ihrer Katze Suffragette, auch wenn ich die beiden in letzter Zeit ziemlich vernachlässigt hatte, weil ich die Abende meist bei Leon verbrachte. Lila beklagte sich mit keinem Wort. Dafür war sie viel zu großmütig und gönnte mir
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