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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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so, als sollte ich etwas sagen. Mir fiel Leon ein, der sich manchmal taubstumm stellte, weil er kein Schwäbisch konnte. Vielleicht war der Kerl auch auf den Trick gekommen oder er war wirklich taubstumm, und da ich keine weitere Zeit verlieren wollte, sagte ich: »Bitte, gern geschehen, schönen Tag noch«, sehr deutlich und vollkommen dialektfrei, damit er es mir von den Lippen ablesen konnte, und wandte mich zum Gehen.
    Da kriegte er den Mund plötzlich ziemlich weit auf und rief mir hinterher: »Moment, wo wollen Sie denn hin, Sie können doch den Kinderwagen nicht einfach an der Haltestelle stehen lassen!«
    Ich drehte mich verdutzt um. »Wie meinen Sie das? Was habe ich denn mit Ihrem Kinderwagen zu tun?«
    »
Mein
Kinderwagen? Ich dachte, das sei Ihrer!«
    »O Gott!«, sagte ich und spürte, wie mir die Knie schwach wurden. Katastrophen-Gen, welcome back. Es hatte nur ein bisschen Urlaub gemacht oder war in Kur gewesen. Kindesentführung, fünf Jahre Hohenasperg oder Stammheim, das fehlte noch in meinem hübschen Lebenslauf, und anstelle eines Passbildes würde ich ab sofort die erste Seite der BILD-Zeitung beilegen: »BRUTAL! Arbeits- und Kinderlose entführt aus Frust Stuttgarter Baby aus Halbhöhenlage« oder so ähnlich, und darunter ein Bild von Pipeline P., mit schwarzem Balken über den Augen, dabei waren meine Augen das Einzige, was ich an mir attraktiv fand. Ob es im Gefängnis wohl einen gut aussehenden ledigen/geschiedenen Polizeipsychologen gab, der mich ein bisschen therapieren würde und mir die Geschichte mit dem Katastrophen-Gen abnahm? Wahrscheinlich musste ich noch eine grausame Kindheit im Heim dazuerfinden.
    »Wir müssen erst mal von der Straße weg«, sagte der Typ, was eigentlich ganz vernünftig klang, da die Bahn längst weg war und wir mitten auf einem stark befahrenen Platz standen, Lkw-umtost, im Gleisgewurschtel zweier sich kreuzender Stadtbahnlinien. Wir gingen nach links über die Schienen und überquerten die Straße. Zum Glück fiel mir in dem Moment ein, dass der Mann an sich ein einsamer Wolf ist und seine Probleme am liebsten im Alleingang löst, damit er sich dann an der Kneipentheke oder in der Sauna vor den Kumpels mit seinen Taten brüsten kann: »Da hab ich doch letztens diesen fremden Kinderwagen am Hals gehabt ... und diese Schnecke, die hatte wirklich keinen Plan ...«
    »Hören Sie, so ein blödes Missverständnis, also, Sie kriegen das schon hin, ich bin da ganz zuversichtlich. Ich muss dann, tschü-üss.«
    Er sah mich streng an. »Kommt nicht in die Tüte. Wir haben uns das zusammen eingebrockt, jetzt löffeln wir es auch gemeinsam aus.«
    Ich nickte ergeben. Auch das noch. Teamworker statt lonesome cowboy. Genauer betrachtet war es ja vielleicht gar nicht so schlimm, und wenn es Leon nicht gäbe, würden wir bei unserer Goldenen Hochzeit einmal mit nostalgisch-wehmütigem Blick unseren Enkeln erzählen, wie wir uns kennengelernt hatten: »Also, er stand da wie ein Depp vor mir ...«, »... also ich dachte, ist die Frau denn vollkommen bescheuert ... und das Kind im Kinderwagen brüllte ...«
    Das Kind in dem orangefarbenen Superkinderwagen brüllte tatsächlich. Ich guckte es mir zum ersten Mal genauer an. Zum Glück war es kein so ganz kleines Kind mehr, ein Mädchen oder ein Junge, und schätzungsweise zwischen zwei und zwölf Monaten alt. Die ersten Passanten drehten sich missbilligend nach uns um, weil wir Rabeneltern tatenlos zusahen, wie sich das Baby immer mehr in Rage brüllte.
    »Wir müssen etwas unternehmen!«, zischte der Kindsvater, der keiner war. Wie hieß er überhaupt? Wahrscheinlich Waldfried oder Helmar oder Roger, deutsch ausgesprochen.
    »Äh, ich hab’s nicht so mit Kindern«, sagte ich. »Ich steh mehr auf Pizza.«
    Menschen unter sechs Jahren gehörten einfach nicht zu meiner Peergroup, und bloß weil ich die Frau war, sollte ich das Balg zum Schweigen bringen! Hatte ich es mir doch gleich gedacht, dass der Typ die Verantwortung für die Kindererziehung abwälzen wollte. Waldfried fluchte laut und ordinär, was ich sehr unpassend fand, in seinem grauen Anzug und dann noch vor dem Kind, zerrte das Kleine aus dem Wagen und schüttelte es zur Beruhigung, was uns weitere strafende Blicke der Passanten eintrug. Auch wenn ich mich mit Babys kein bisschen auskannte, hatte ich doch gewisse Zweifel, ob man sie wie einen Martini von James Bond behandeln sollte. Das Baby schien der gleichen Meinung zu sein, es würgte und spuckte empört auf

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