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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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das Verliebtsein. Ich rechnete es ihr deshalb besonders hoch an, weil Lila selbst Single war. In der Regel sahen die Männer in ihr nur die Frau, bei der man sich so wunderbar in den Falten ihrer weiten Gewänder verkriechen konnte, wenn die Welt gemein zu einem war und sich die langbeinige neue Kollegin mit den aufreizend roten Lippen und dem Stroh im Kopf kein bisschen für einen interessierte, obwohl sie doch ganz offensichtlich ungebunden war. Lila wusste immer Rat, geizte nicht damit und blickte taktvoll über Stroh im Kopf hinweg. Ihre besondere Stärke waren Sonntagskrisentelefonate, in denen sie anderen Menschen über ebendiese Krisen hinweghalf. Ich wünschte ihr so sehr, dass endlich mal ein Mann die Vorzüge entdeckte, die sich hinter ihrem rundlichen Äußeren verbargen.
    Hoppla, nun war ich ganz davon abgekommen, dass ich den bescheuerten Traum analysieren wollte. Ich schob mir einen Schokokeks in den Mund, schloss die Augen und konzentrierte mich, kam aber zu keinem Ergebnis, was die Message des Traums betraf. Leons tiefe Zuneigung hatte mein Leben verändert. Sogar das Katastrophen-Gen hatte sich einlullen lassen. Hurra! Ich würde ab jetzt ein ausgeglichener Mensch völlig ohne Chaos sein. Ich war ja schon viel ruhiger geworden. Die Natur war besiegt! Als ich Lila eifrig und stolz berichtete, dass wahre Liebe ganz eindeutig stärker war als genetische Anlagen, legte sie nur zweifelnd den Kopf schief und sagte nichts. Wahrscheinlich brauchte sie einfach ein bisschen Zeit, um sich umzustellen.
    Leon hatte ich mein kleines Problemchen bisher noch nicht gebeichtet. Es gab schließlich überhaupt keinen Grund, einen soeben erworbenen Freund gleich wieder mit Hiobsbotschaften in die Flucht zu schlagen. Das Katastrophen-Gen war keine Krankheit, nur ein klitzekleiner genetischer Defekt, der manchmal ein bisschen Durcheinander produzierte oder aus heiterem Himmel Haushaltsgeräte lahmlegte. Deshalb war es sehr praktisch, einen handwerklich begabten Ingenieur zum Freund zu haben, der alles wieder reparieren konnte, sollte das Katastrophen-Gen überraschend aus seinem Dornröschenschlaf erwachen.
    Warum bloß waren in dem doofen Traum Kinder aufgetaucht? Ich war vor kurzem zweiunddreißig geworden, an Nachwuchs dachte ich nicht im Entferntesten. Ich hatte auch weitaus dringlichere Probleme zu lösen. Im Februar hatte ich meinen Job als Texterin bei einer Werbeagentur in der Rotebühlstraße im Stuttgarter Westen verloren. Ich bekam zwar Arbeitslosengeld, und Leon, der als Ingenieur gut verdiente, lud mich oft großzügig ein, aber es war mir unangenehm, ihm auf der Tasche zu liegen, und die Arbeitslosigkeit machte mich rastlos und unzufrieden. In letzter Zeit hatte ich es zudem mit Bewerbungen ziemlich schleifen lassen. Höchste Zeit, sich am Riemen zu reißen! Gleich heute würde ich damit anfangen. Mit Schwung sprang ich aus dem Bett und schüttelte Leons Bettdecke auf. Leider vergaß ich dabei, dass ich Kekse mit Schokoladenüberzug gegessen hatte. Die braunen Flecken sahen ein bisschen unappetitlich aus. Aber stand nicht in vielen Kontaktanzeigen im Stadtmagazin LIFT, dass sich die Männer nach Frauen sehnten, die ihnen die Pullis klauten und das Bett vollkrümelten? Schokoflecken waren sicher genauso betörend.
    Zwanzig Minuten später verließ ich frisch geduscht Leons Wohnung. Das Treppenhaus war zum Glück leer. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich die Nachbarn daran gewöhnt hatten, dass ich nicht mehr im Haus wohnte, sondern als Besucherin kam. In schwäbischen Mietshäusern brauchten Veränderungen ihre Zeit. Vielleicht hatte es die Bewohner auch irritiert, dass nach meinem Auszug Leons Sandkastenfreundin und Arbeitskollegin Yvette eine Weile dynamisch durch den Flur gestöckelt war.
    Ich öffnete die Tür zum Hinterhof, wo ich mein Rad abgestellt hatte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mein Gehirn die Szene einordnen konnte, die sich gerade im Hof abspielte. Mitten auf dem Asphalt stand die aufgeklappte grüne Papiertonne. In der Tonne stand Herr Tellerle aus dem dritten Stock und trampelte auf dem Tonneninhalt herum. Zumindest ließ sich das erahnen, weil man seine Beine nicht sehen konnte. Neben der Tonne stand ein nicht besonders zuverlässig aussehender Klappstuhl, den Herr Tellerle offensichtlich als Steighilfe benutzt hatte. Ziemlich gefährlich, schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Vielleicht war Herr Tellerle in seinem früheren Leben Wengerter gewesen und stampfte deshalb das

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