Brezeltango
gerne unternehmen?«
»Hmm. Vielleicht ein bisschen ans Meer?«
»Hamburch liegt an der Elbe. Nicht an der See. Da müssten wir schon bis Timmendorfer Strand, und da wird die Hölle los sein, wenn das Wetter hält.«
»Schade«, sagte ich. »Weißt du, in Stuttgart sind wir einfach so weit weg vom Wasser. Der Neckar zählt ja nicht. Und am Bodensee ist es immer schrecklich voll.«
»Du willst Wasser?«, sagte Leon und grinste sein Leon-Grinsen. »Kannst du haben. Wasser gibt’s in Hamburch genug. Wir können eine Alsterfahrt machen. Und einen Spaziergang an der Elbe. Du wirst sehen, für dich Landratte wird sich das fast wie Meer anfühlen.«
»Und auf den Fischmarkt«, sagte ich euphorisch, um wenigstens noch etwas Hamburgkenntnis einzubringen. Jedes Jahr im Juli reiste der Hamburger Fischmarkt nach Stuttgart. Dann strömten die Stuttgarter auf den Karlsplatz und schlugen sich den Bauch mit Fischbrötchen, Meeresfrüchte-Spießen und Scholle »Finkenwerder Art« voll. Dazu probierten sie den nicht eben alkoholfreien Küstennebel, um anschließend in selbigem zu versinken. Im Gegenzug reiste das Stuttgarter Weindorf nach Hamburg, um die Hamburger mit Trollinger und Schupfnudeln zu beglücken. Ein echter interkultureller Austausch eben.
»Fischmarkt muss nicht sein«, sagte Leon. »Das ist nur für die Touris, und man muss sehr früh aufstehen.«
Natürlich bestand Leon darauf, auch den Rückweg zu Fuß zurückzulegen. Beim Drogeriemarkt in der Marienstraße kaufte ich noch rasch knallroten Nagellack. Ich war 32 Jahre alt und hatte noch nie in meinem Leben Nagellack benutzt! Es war wirklich Zeit, dass ich mehr aus meinem Typ machte. Die Grillfete war der ideale Anlass. Zu meinen pinkfarbenen Flip-Flops würden die lackierten Nägel sicher niedlich aussehen.
Weil ich total verschwitzt war, stellte ich mich rasch unter die Dusche und schloss dann die Tür von Leons Bad sorgfältig von innen ab. Meinen Zehennagellackierungsinitiationsritus wollte ich ganz alleine zelebrieren. Ich schüttelte das kleine Fläschchen, schraubte den Verschluss auf und lackierte mit dem Pinselchen innerhalb kürzester Zeit Nagel um Nagel. Anfangs tropfte es ein bisschen, aber rasch hatte ich den Bogen raus. Cool! Das war ja supereinfach gewesen! Nun war ich endgültig eine erwachsene Frau. Eine Frau mit perfekt lackierten Zehennägeln! Ich segelte aus dem Bad, um mir bei Leon ein Lob abzuholen. Er saß mit einem großen Glas Sprudel in der Hand auf dem Sofa und studierte den
Kicker
.
»Sieh mal, Leon. Ist das nicht hübsch geworden?« Stolz wackelte ich mit meinem rechten Fuß vor Leons Gesicht herum. Er sah auf. Dann grinste er.
»Ist das eine neue Mode?«
»Wieso?«
»Du hast nicht deine Nägel lackiert, sondern deine Zehenkuppen.«
Ich nahm den rechten Fuß in die linke Hand und beugte mich darüber. Leider war ich nicht sonderlich beweglich. Leon hatte recht. Den Nagel des großen Zehs hatte ich halbwegs getroffen. In den anderen vier Fällen hatte ich die Zehenkuppe bemalt und die Nägel waren jungfräulich geblieben. Das musste daran liegen, dass die Zehen so weit weg vom Gesicht waren.
»Findest du wirklich, dass es auffällt, wenn man es nicht weiß? Also in der Regel werfen sich die Leute ja nicht vor einem auf den Boden, um zu schauen, ob man seine Nägel ordentlich lackiert hat. Beim Lippenstift ist es schon wichtiger, dass man trifft, da sind die Augen näher dran. Bei den Fußnägeln darf man wahrscheinlich schon ein bisschen danebenliegen, oder?«
»Line«, versicherte mir Leon todernst, »glaub mir, es fällt auf. Vielleicht solltest du mal deine Augen testen lassen?«
Hmm. Es stimmte, in letzter Zeit hatte ich das Gefühl, dass meine Augen schlechter wurden. Aber für eine Brille war ich nun wirklich zu jung. Zum Glück hatte ich in weiser Voraussicht auch gleich den Nagellackentferner mitgekauft. Ich holte die Küchenrolle und schloss mich wieder im Bad ein. Es dauerte ziemlich lange, bis ich meine Zehen vom »Long-lasting«-Nagellack befreit hatte. Auf dem Boden lag nun ein großer Haufen lackierter Küchenrolle. Meine Zehen sahen genauso aus wie vor einer Stunde, bis auf den rötlichen Schimmer auf den Zehenkuppen.
Es klopfte gegen die Badtür. »Line, meinst du, ich dürfte vor unserem Aufbruch noch für ein ganz kurzes Sekündchen in mein Bad?«
»Ich bin gleich so weit«, rief ich beschwörend.
Da gab es doch den Wattetrick, oder? Man stopfte Watte zwischen die Zehen und dann konnte der Lack in aller
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