Brezeltango
Kleingeld mehr«, sagte ich und streckte ihm einen 50-Euro-Schein hin.
»Des machd nix, wenn Se mr’s groß gäbad on nix zrickwellad«, sagte der Verkäufer.
Ich steckte das Wechselgeld ein. Auf der Ablage des Wagens lag eine Brötchentüte, die offensichtlich jemand vergessen hatte. Ich hielt die Tüte hoch und fragte laut: »Hat jemand von Ihnen seine Tüte liegen lassen?«
Von links und rechts bekam ich nur Achselzucken zur Antwort. Der arme Mensch, der jetzt zu Hause sein Missgeschick entdeckte! Ich ließ die Tüte Tüte sein und kaufte am Wurstwagen noch ein bisschen Salami und ein paar rote Würste für den Grillabend. Das dauerte etwas länger, weil die drei älteren Herrschaften, die dort bedienten, ausgesprochene Teamworker waren und sich die Arbeitsschritte Wurst schneiden, Dicke der Wurstscheibe kommentieren, Abwiegen, Einpacken und Kassieren aufgeteilt hatten. Noch ein paar Bananen, weil man doch fünfmal am Tag Obst oder Gemüse essen sollte, dann machte ich mich auf den Heimweg. Ich hatte jetzt wirklich Hunger.
Leon kam gerade aus dem Bad. Er trug nur ein Handtuch um die Hüften. Das Wasser perlte noch feucht auf seinem Oberkörper. Wenn man sich seinen Bauch wegdachte und nichts gegen Schuhgröße 45 hatte, hatte er einen Superbody. Ich schluckte.
»Da bist du ja«, sagte Leon.
»Ich habe Brötchen geholt.«
»Prima, Kaffee läuft schon. Obwohl ich gehofft hatte, du wartest im Bett auf mich.«
Mist. Das hätte er auch vorher sagen können! Offensichtlich schüttete Joggen nicht nur Endorphine aus. Da ich wusste, dass die Kommunikation zwischen Mann und Frau nur dann gelingen konnte, wenn man deutliche Signale aussandte, wackelte ich ein bisschen mit den Hüften und zog meine Lippen in die Breite à la Julia Roberts. Das hatte ich nach einer Anleitung aus der
Cosmopolitan
ausführlich vor dem Spiegel geübt. Leider war mein Mund nur ein Drittel so breit wie der des Hollywoodstars.
Leon war in zwei Schritten bei mir und küsste mich. Ich fummelte an seinem Handtuch herum.
»Lass mich nur mal eben in ein Brötchen beißen, ehe ich dich vernasche, mein Magen knurrt ganz fürchterlich«, murmelte Leon, mittlerweile ohne Handtuch.
Okay, Joggen machte hungrig, aber musste er ausgerechnet jetzt an Essen denken? Das würde mir nie passieren! Leon ließ mich los und ich angelte nach meiner Tasche. Salami. Rote Würste. Bananen. Geldbeutel. Eine Bifi. Schlüssel. Ein angedatschtes Überraschungsei. Handy. Ein Tampon. Eine runzlige Kastanie vom letzten Herbst. Bonbonpapierle. Was eine Frau von Welt eben so in ihrer Tasche hatte. Sonst nichts.
»Ich habe die Brötchen liegen lassen«, sagte ich zerknirscht.
Leon grinste und nahm das Handtuch vom Boden. »Ist nicht schlimm. Ich hole sie schnell mit dem Fahrrad, bevor sie weg sind. Bin in Nullkommanix zurück.« Er verschwand im Schlafzimmer und erschien wenige Minuten später wieder, ordentlich gekleidet in Polohemd und Bermuda. So ein Scheiß!
Eine gute Stunde später saßen wir mit brötchenvollem Bauch am Tisch. Leon hatte sich in den Wirtschaftsteil der
Stuttgarter Nachrichten
vertieft. Ich blätterte die Stellenanzeigen durch.
»
Die Stadt Stuttgart sucht eine/n Kehrmaschinenfahrer/in mit Führerschein Kl. C/CE (früher Kl. 2)
«, las ich vor.
»Ich dachte, du hasst Kehren. Außerdem ist das nicht unbedingt deine Branche«, sagte Leon trocken.
»Aber das ist eine Stelle im öffentlichen Dienst! Da ist man unkündbar! Und man kann sich ja einarbeiten!
Die Schwerpunkte der Tätigkeiten liegen im Führen von Sonderfahrzeugen mit den unterschiedlichsten Aufbauten sowie im Führen und Bedienen von Winterdienstfahrzeugen mit Zusatzgeräten
. So wenig, wie es in den letzten Jahren geschneit hat, da stehen die Winterdienstfahrzeuge bestimmt nur herum, und man kann sich vom Führen und Bedienen der Kehrmaschinen im Sommer erholen. 5 Und wenn es dann doch mal Schnee gibt, throne ich auf meinem Räumfahrzeug, kleine Jungen winken mir begeistert zu und die Autofahrer sind mir unendlich dankbar, weil ich die Straßen freimache und Salz streue.«
Andererseits hatte ich schon einmal ein Sonderfahrzeug mit einem riesigen Plastiksombrero obendrauf bedient. Es war nicht gut gegangen.
Leon hatte sich längst wieder in die Zeitung vertieft. Er las schrecklich gern Zeitung oder den
Kicker
, dafür überhaupt keine Literatur. Nicht dass ich Leon ändern wollte, aber ab und zu ließ ich scheinbar zufällig ein aufgeschlagenes Buch irgendwo herumliegen, die
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