Brezeltango
Ruhe im Auto trocknen, ohne zu verschmieren. Ich fand einen Rest Watte in Leons Badschränkchen, isolierte die Zehen, stellte den Fuß auf die Badewanne, beugte mich so tief darüber, wie ich konnte, und wiederholte die Lackierungsprozedur. Diesmal klappte es, auch wenn mir anschließend der Rücken wehtat. Schnell noch den anderen Fuß und den Nagellack aus der Badewanne entfernen.
»Schon fertig«, rief ich fröhlich und stürzte mit dem bemalten Küchenrollenhaufen auf dem Arm aus dem Bad.
»Schön«, sagte Leon. »Meinst du, wir könnten demnächst losfahren?«
Wenig später waren wir in Leons Golf auf der B 10 Richtung Schwieberdingen unterwegs.
»Wir haben keinen Nudelsalat dabei«, sagte ich nachdenklich.
»Wieso Nudelsalat? Wir sollten doch gar nichts mitbringen. Die Flasche Rieslingsekt wird schon in Ordnung sein. Und die Grillwürste.«
Ich liebte Grillen! Früher hatten wir in Dorles Garten immer einen großen Haufen Herbstlaub verbrannt und darin in Alufolie eingewickelte Kartoffeln gegart. Oder wir machten mit Dorle einen Ausflug an eine Grillstelle, schnitzten mit dem Taschenmesser einen Stock zurecht und spießten rote Würste auf. Die brachen dann oft in der Mitte auseinander und fielen ins Feuer, sodass man sie essen musste, auch wenn sie außen verbrannt und innen noch roh waren. Noch Tage später hing der Rauchgeruch in den Kleidern. Herrlich!
Von diesen Freuden fühlte ich mich seit Jahren ausgeschlossen. An lauen Sommerabenden verwandelte sich ganz Stuttgart in einen Massenfreiluftgrill. Da wurden Bierbänke aufgeklappt und Grills angeworfen, Gäste rückten mit Nudelsalat unter dem Arm an und Rauch waberte von Stammheim bis nach Wangen, während Lila und ich Spaghetti kochten und uns wie Außerirdische fühlten. Genial, weil ich jetzt ein Paar war, würde ich ab sofort jeden Sommer Einladungen zum Grillen bekommen!
Rechts von der B 10 tauchte ein riesiger grauer Kasten mit einem roten Schriftzug auf.
»Guck mal, da ist Bosch!«, rief Leon stolz. »Jetzt siehst du bei der Gelegenheit wenigstens mal, wo ich arbeite.«
Das war das Stichwort. Ich hatte noch immer nicht die geringste Ahnung, was Leon eigentlich den ganzen Tag machte. Das konnte bei der Party nachher peinlich werden, wenn all die Bosch-Kollegen über ihre Arbeit sprachen. Ich hatte das Thema mal gegoogelt. Demnach wussten 76 Prozent aller Paare nicht genau, was ihr Partner oder ihre Partnerin beruflich machte. Zu denen würde
ich
nicht gehören!
»Sag mal, Leon, was arbeitest du eigentlich?«
Leon sah mich belustigt an. »Ich bin Ingenieur. Ich dachte, das hätte ich bereits erwähnt.«
»Ja, schon, aber was für ein Ingenieur? Ich meine, da gibt es doch viele Unterschiede. Maschinenbauer und Elektro und so.«
»Line, wenn ich dir das jetzt erkläre, das ist doch total langweilig. Und letztlich auch wurscht.«
»Ich will es aber wissen«, sagte ich störrisch.
»Na gut. Ich entwickle Produkte für den chinesischen Markt. Elektronische Einspritzsysteme, wenn du es genau wissen willst.«
»Aha«, sagte ich.
»Bist du jetzt schlauer?«, fragte Leon.
»Klar«, sagte ich spitz. »Alle Welt redet doch von elektronischen Einspritzsystemen. Ich bin nicht doof, weißt du!«
Das war ja wohl das Letzte! Als einfühlsame Freundin wollte ich Anteil an Leons Leben nehmen, war ihm außerdem intellektuell haushoch überlegen und er traute mir nicht zu, dass ich mich mit elektronischen Einspritzsystemen auskannte. Obwohl ich mir alle Mühe gab, Leon mithilfe der Karte auf den falschen Weg zu lotsen, fand er ohne Probleme das Einfamilienhaus im Neubaugebiet und parkte den Golf zwischen einem metallicfarbenen Geländewagen und einer Mercedes A-Klasse. Ein großer, schlanker Mann in olivgrünen Bermudas, weißem T-Shirt und schwarzen Crocs trat aus der Tür und gab mir die Hand.
»Herzlich willkommen. Ich bin der Martin. Leon hat schon viel von dir erzählt.«
»Hallo, ich bin die Line. Danke für die Einladung«, sagte ich artig. Ich war Leons neue Freundin und würde einen guten Eindruck hinterlassen!
»Tach, Leon. Habt ihr’s gut gefunden?« Martin klopfte Leon kumpelhaft auf die Schulter.
»Easy«, antwortete Leon und drückte Martin die Sektflasche in die Hand. »Ist das euer neuer SUV?« Er deutete auf den Geländewagen.
»Ja. Wenn du willst, drehen wir nachher eine kleine Runde, aber jetzt erst mal rein mit euch! Hoffentlich habt ihr ordentlich Hunger mitgebracht.« Er führte uns durch ein gewaltiges Wohn-/Esszimmer, in
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