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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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»Nibelungen« oder den »Urfaust« oder »Krieg und Frieden«. Klassiker eben. Ich drapierte sie auf der Kaffeemaschine, neben dem Klo oder halb unterm Bett. Komischerweise hatte Leon bisher noch nie eines der Bücher spontan in die Hand genommen und sich daran festgelesen. Bedrohte der intellektuelle Unterschied unsere Beziehung?
    »Sag mal, Leon, findest du nicht, dass wir sehr verschieden sind?«
    Leon sah von der Zeitung auf. »Klar. Du bist eine Frau. Ich bin ein Mann. Das macht einen ziemlichen Unterschied.«
    »Das meine ich nicht. Ich meine zum Beispiel, dass du gerne mit den Vögelchen aufstehst, um joggen zu gehen, während ich mich am liebsten noch mal rumdrehe und dann gemütlich Nostalgie-TV gucke. Ich lese Bücher, du die Zeitung. Ich futtere, bis ich platze. Du achtest auf deine schlanke Linie. Du bist ein Nordlicht, ich aus dem wilden Süden. Und so weiter und so fort.«
    »Unterschiede ziehen sich an. Tarzan und Jane waren auch sehr unterschiedlich. Oder Donald und Daisy. Crocodile Dundee aus der Wildnis und die Frau aus New York. André Agassi und Steffi Graf.«
    »Da hast du’s, die spielen beide Tennis«, rief ich triumphierend. »Sie haben wenigstens ein gemeinsames Hobby. Und was war mit Adam und Eva? Romeo und Julia. Orpheus und Eurydike. Madonna und Guy Ritchie. Der Schwan und das Tretboot. Die haben alle ein tragisches Ende genommen«, sagte ich düster.
    »Line, würde es dir sehr schwerfallen, mich in Ruhe diesen Artikel über Bosch zu Ende lesen zu lassen? Und zerbrich dir dein hübsches Köpfchen nicht so sehr.«
    Leon fand mein ganzes Köpfchen hübsch? Das war ja unglaublich. Ich fand eigentlich nur meine Augen attraktiv. Ich öffnete den Mund, um noch mal nachzufragen, aber Leon warf mir einen warnenden Blick zu. Also schloss ich den Mund wieder, ging aufs Klo und las die Cartoons in Leons Klokalender. Weil es wichtig war, alle Facetten seines Partners kennenzulernen, ging ich anschließend staunend seine Toilettenartikel durch. Er besaß deutlich mehr davon als ich. Sein Deo, speziell für Sportler, sah aus wie ein Energydrink.
    Zehn Minuten später klopfte Leon an die Badtür. »Lebst du noch? Es ist auf einmal so schrecklich still. Außerdem würde ich ganz gern mal auf die Toilette, wenn es dir nichts ausmacht.«
    »Lila meint übrigens, man sollte immer den Klodeckel schließen«, sagte Leon, als er wieder aus dem Bad kam. »Dein Qi geht sonst weg.«
    »Tschi, was für ein Tschi?«, fragte ich verwirrt.
    »Dein Qi! Deine Energie! Als Lilas Mitbewohnerin solltest du dich wirklich damit auskennen«, grinste Leon.
    Ich malte mir aus, wie meine Energie durch die Rohre rutschte und zwei Stockwerke tiefer bei Herrn Tellerle landete, weil ich es versäumt hatte, den Klodeckel zu schließen. Wahrscheinlich war Herr Tellerle mit meinem chaotischen Qi vollkommen überfordert. Kein Wunder, dass er so seltsam in der Papiertonne herumgestiefelt war.
    »Okay. Was machen wir heute Nachmittag?«, fragte Leon und sah schon wieder erbarmungslos unternehmungslustig aus. »Wir könnten gemeinsam etwas Neues entdecken. Gibt’s in Stuttgart eigentlich No-go-Areas?«
    »Du meinst so eine Art Stuttgarter Bronx? Keine Ahnung. Ich gehe nie in No-go-Areas.« Außerdem klangen No-go-Areas anstrengend, und es war schon wieder ziemlich heiß. Ich musste Leon ganz schnell auf andere Gedanken bringen.
    »Wir könnten eine kleine Siesta machen. Heute Abend wird es sicher spät«, sagte ich und versuchte mich an das andere Foto in der
Cosmopolitan
zu erinnern, das, auf dem der lüsterne Blick dargestellt war.
    Leon lachte. »Aber Line, wir sind doch gerade erst aufgestanden. Außerdem haben unsere Gastgeber zwei kleine Kinder. Die gehen sicher nicht so spät ins Bett.«
    »Dann lass uns Eis essen gehen«, sagte ich und wartete darauf, dass Leon sagte: »Aber Line, wir haben doch gerade erst gefrühstückt, wir sollten eine kleine Radtour machen, um die Kalorien zu verbrennen.« Zufällig wusste ich aber, dass Leon ziemlich gern Eis aß, und fand mich ziemlich clever. »Warst du schon mal im Eiscafé
Pinguin?
«
    Leon schüttelte den Kopf. »Ich lass mir gern was Neues zeigen. Kann man da zu Fuß hingehen? Nach ein bisschen körperlicher Bewegung schmeckt das Eis um so leckerer.«
    Ich stöhnte. »Dann brauch ich deinen Stadtplan. Sonst finde ich von hier aus den Weg nicht.« Außerdem konnte ich dann die kürzeste Strecke auswählen.
    In den Häuserschluchten der Reinsburgstraße stand die Hitze wie eine Wand.

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