Brezeltango
als hätte mir Patsy K.-o.-Tropfen in den Kaffee getan, den sie mir gar nicht angeboten hatte. Ohne nachzudenken, lief ich los, zurück Richtung Stadt. Stadtbahnen, Verkehr, es war mir alles egal. Nahezu automatisch nahm ich den Weg, den ich mit John-Boy und dem Kinderwagen gegangen war. Der Verbrecher kehrte eben immer an den Ort des Verbrechens zurück. Ich vermied den Blick auf das Polizeirevier und ging zwischen Kurpark und einer Sportklinik weiter die Straße entlang, bis ich wieder auf einen Park stieß. Hier war ich noch nie gewesen. Ich ließ mich auf einer Bank nieder. Es stank nach Hundemist. Außerdem hatte ich Hunger, Durst und fühlte mich elend. Ich vermisste Leon schrecklich. Er würde grinsen und mich ein bisschen in und auf den Arm nehmen, und alles wäre gut. Warum war der Kerl nie da, wenn man ihn wirklich brauchte? Warum konnte es nicht ein einziges Mal gut laufen? Warum hatte ich mit meinem blöden Kartentrick vollkommen danebengelegen? Warum musste Katharina ihre Familie ins Unglück stürzen? Und warum hatte es Yvette von allen Männern dieser Welt immer noch auf Leon abgesehen? Warum verliebte sie sich nicht in den Hausmeister bei Bosch in Schwieberdingen oder vernaschte nach dem Mittagessen in der Kantine statt des Nachtisches, der ihr Catwalk-Figürchen gefährdete, den Küchenchef und hatte mit ihm wilden Sex auf dem Ceranfeld?
Jetzt ist es aber gut, Line, dachte ich. Reiß dich zusammen. Denk an die armen Manager, denen man die Bonuszahlungen gekürzt hat! Würdest du dich gerne von der beklopptesten Agentur in ganz Stuttgart zum Kaffeekochen einstellen lassen, noch dazu an einer scheußlichen Durchgangsstraße, jeden Morgen eine Brezelhymne singen, um das Teamgefühl zu fördern, und dich und dein Team beim Firmenlauf lächerlich machen, weil du nach einem Kilometer ein Päuschen und einen kleinen Imbiss brauchst?
Nein.
Findest du nicht schon lange, dass dein Schwager Frank ein selbstherrliches Ekelpaket ist?
Doch.
Meinst du nicht, du kannst mit Lila ein paar nette Ideen aushecken, wie du Yvette zur Strecke bringst?
Doch.
Hast du nicht ein Riesenglück, dass du so eine tolle Freundin wie Lila hast? Und wenn du ehrlich bist, ist ihr neuer Freund eigentlich auch in Ordnung?
Doch.
Na also. Eigentlich gab es doch überhaupt keinen Grund zum Jammern. Und jetzt wollte ich endlich die SMS von Leon lesen!
Leon schrieb, dass das Wetter toll und der Schwarzwald schön und die Gruppe nett sei und er es kaum erwarten könne, mich wiederzusehen, und ich ihm dringend simsen solle, wie das Vorstellungsgespräch gelaufen sei. Hmm. Kein Wort von Yvette. Außerdem erinnerte er mich daran, dass ich versprochen hatte, seine Blumen zu gießen. Ojeojeoje. Das hatte ich vor lauter Durcheinander komplett vergessen. Leon hatte einen Kasten mit Geranien zur Reinsburgstraße hin, den er mit Hingabe pflegte. Trotzdem waren die Blumen wegen der Abgase eigentlich mehr grau als farbig. Jetzt mussten sie bei hochsommerlichen Temperaturen schon mehrere Tage ohne Wasser auskommen, aber das würde sicher ihre Widerstandsfähigkeit stärken.
Ich schickte Leon eine Minizusammenfassung des Vorstellungsgesprächs, versprach, mich um die Geranien zu kümmern, und machte mich auf den Weg, um mir endlich was zum Frühstücken zu suchen.
11. Kapitel
And you don’t bring me flowers anymore
.
Ein paar Stunden später war ich auf dem Weg in die Christophstraße. Eigentlich war mir nach dem desaströsen Vormittag nicht nach einem Gespräch über Ehekrisen. Vor allem nicht, wenn es dabei um meine einzige Schwester ging. Und meine Lieblingsnichte. Und ein nicht abbezahltes Eigenheim. Eigentlich war mir danach, ins Inselbad zu fahren, am Kiosk in der prallen Sonne stundenlang auf eine angekokelte rote Wurst mit Weckle zu warten, das Liegehandtuch mit Senf zu bekleckern und den Kids beim Arschbombenwettbewerb zuzusehen.
Ich war zu früh und immer noch frustriert. An der Ecke Tübinger/Christophstraße war ein Jeansladen. Was machten Frauen in Frauenbüchern und Fernsehserien immer, wenn sie frustriert waren? Sie gingen shoppen. Vor allem Schuhe. Am besten Manolo Blahniks. Die waren lebensgefährlich, unbezahlbar, ich hatte viel zu große Füße dafür und außerdem nicht den geringsten Plan, wo man die in Stuttgart kaufte. Die Pipeline-Praetorius-Variante von Manolo Blahniks würde eine weiße Jeans sein! Ich hatte keine Lust mehr auf Vintage-Look und die blaugrüne Landschaft auf meinen Knien. Außerdem war das eine gute
Weitere Kostenlose Bücher