Brezeltango
sich stattdessen zu der Frau mit der eingesauten weißen Hose setzte, war vermutlich ein bisschen enttäuschend. Dabei konnte man Katharinas wundervolle Rehaugen unter der gewaltigen Sonnenbrille nicht einmal sehen! Sie selbst kriegte von dem Aufruhr, den sie verursachte, wie üblich nichts mit. Aus irgendwelchen seltsamen Gründen fand sie sich selbst ziemlich mittelmäßig. Sie drückte mich flüchtig an sich und ließ sich auf den Stuhl fallen, ohne die Sonnenbrille abzunehmen. Ich konnte mir ausmalen, wie ihre Augen darunter aussahen.
»Wie lief dein Vorstellungsgespräch?«
Ich winkte ab. »Vergiss es.«
»Das tut mir leid. Aber mir tut grad so vieles leid.« Tränen kullerten unter der Sonnenbrille hervor.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Früher hatten wir allen Kummer geteilt. Es war uns gar nichts anderes übrig geblieben, weil sich unsere Eltern kein bisschen um uns kümmerten. Aber das war lange her.
»Ich bestell dir einen Eiskaffee, okay? Und dann erzähl einfach.«
Katharina holte tief Luft. »Line – Frank und ich sind jetzt seit 15 Jahren zusammen. Das ist mein halbes Leben! Ich habe nie einen anderen Mann gehabt. Hast du eine Ahnung, was das bedeutet? Irgendwann hat man sich nichts mehr zu sagen. Es geht nur noch um die Kinder, fahren wir nach Holland zum Fahrradfahren oder in die Türkei an den Strand, Lena braucht einen Fahrradhelm, wann bauen wir den Keller aus, Frank, kümmerst du dich um die Winterreifen.«
»Aber ist das nicht normal?«, sagte ich hilflos.
Nun ja, es klang nicht wirklich prickelig. Nicht so, dass ich Katharina beneidete, jedenfalls. Auf keinen Fall wild und gefährlich.
»Wenn das normal ist, dann ist es fürchterlich! In den ersten Jahren, da war alles so aufregend. Als wir heirateten und Lena kurz darauf auf die Welt kam. Und dann das eigene Häuschen! Eine eigene Familie, ein Zuhause, nach dem Desaster mit Vater und Olga. Aber dann frisst einen der Alltag auf. Und plötzlich siehst du den anderen an und denkst: Was will ich eigentlich mit dem Kerl?«
Diese Frage stellte ich mir eigentlich schon, seit Katharina mir mit 15 eröffnet hatte, dass sie Frank eines Tages zu heiraten gedachte, um unserer chaotischen Familie zu entkommen. Aber wahrscheinlich war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um das zu erwähnen.
»Aber ich dachte, du liebst Frank«, machte ich einen letzten Versuch.
Vielleicht war ich zu romantisch. Aber ich stellte es mir eigentlich schön vor, gemeinsam alt zu werden. Sich aufeinander verlassen zu können. Vertrautheit und Freundschaft zu spüren. So wie Dorle auf ihrem Bänkle auf der Alb. Allerdings hatte Dorle die Familienphase übersprungen.
»Liebe. Was soll das sein, Liebe? Im Moment bin ich verliebt. Er kam in die Buchhandlung. Anfangs fiel er mir nicht auf. Bis mir die Kolleginnen sagten, du, der kommt deinetwegen. Fragt immer nur nach dir. Erst war es mir total peinlich. Vor den Kolleginnen sowieso. Ich, verheiratet, und dann dieser fremde Typ … Aber er drängte sich nicht auf. Wollte immer Lesetipps, las alles in wenigen Tagen und kam dann wieder, um mir zu erzählen, wie es ihm gefallen hatte, und sich neue Bücher zu holen. Was sollte ich denn machen, ich konnte doch nicht sagen, ich berate den nicht mehr. Irgendwann merkte ich, dass ich mich freute, wenn er kam, und nach ihm Ausschau hielt, wenn er nicht kam. Wir mögen die gleichen Bücher, weißt du. Eines Tages kam er kurz vor Ladenschluss und fragte ganz vorsichtig: ›Gehen Sie mit mir einen Kaffee trinken?‹ Das erste Mal sagte ich nein. Beim zweiten Mal dachte ich, eine Tasse Kaffee, wir reden über Bücher, was ist schon dabei. Und irgendwann … Und dann musste ich anfangen, mir Ausreden zu überlegen. Ich fing an zu lügen, Arztbesuche zu erfinden und VHS-Pilateskurse.«
»Oder Abstillpartys.«
»Oder Abstillpartys … Es tut mir leid. Ich wollte dich da nicht reinziehen. Und dann konnte ich nicht mehr. Außerdem wussten im Laden alle Bescheid.« Sie hielt erschöpft inne. »Er findet mich schön, weißt du. Er macht mir den ganzen Tag Komplimente. Er trägt mich auf Händen. Er hält mir die Tür auf, lädt mich zum Essen ein, bringt mir Rosen. Weißt du, wann Frank mir zum letzten Mal Blumen mitgebracht hat?« Die Tränen kullerten wieder. »Ich habe ein Recht darauf, glücklich zu sein. Ich hab die ganzen letzten Jahre zurückgesteckt, die Kinder versorgt, das Haus. Jetzt bin ich dran.«
Ich versuchte, den Kloß im Hals herunterzuschlucken. Nebeneinander
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