Brezeltango
schlecht, wie sie in Form ist. Da ist es doch vernünftiger, sie bleibt zu Hause!«
»Ich habe auch nichts zu verbergen!«, rief ich wütend.
»Und mir reicht’s jetzt, ich will schlafen!« Lila stand in der Tür, in einem weit wallenden Nachthemd, und blinzelte uns wütend an. »Streitet euch gefälligst weiter, wenn die arbeitende Bevölkerung aus dem Haus ist!«
»Entschuldige, Lila«, sagte Leon betreten.
»Sorry, wir wollten dich nicht wecken«, flüsterte ich.
Lila drehte auf ihren nackten Absätzen um und verschwand kommentarlos.
Leon und ich starrten uns an.
»Ich will nicht mit dir streiten«, flüsterte ich.
»Ich doch auch nicht«, flüsterte Leon. »Ich war nur so schrecklich enttäuscht, dass du nicht zu Hause warst.«
»Und du hast mir so schrecklich gefehlt. Die Woche war einfach fürchterlich!«
Ich fiel wieder in Leons Arme. Um das Ausziehen musste ich mir keine Gedanken machen.
14. Kapitel
Ich hab den Tag auf meiner Seite, ich hab Rückenwind!
Ein Frauenchor am Straßenrand, der für mich singt!
Ich lehne mich zurück und guck ins tiefe Blau,
schließ die Augen und lauf einfach gradeaus.
Und am Ende der Straße steht ein Haus am See.
Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg.
Ich hab zwanzig Kinder, meine Frau ist schön.
Alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehen
.
Leon und ich waren um kurz nach eins am Gleisanfang auf dem Hauptbahnhof verabredet. Auf dem Bahnhof war die Hölle los. Ungeduldig drängelten die Menschen aneinander vorbei. Klar, es war ja auch Freitagmittag und alle Wochenendbeziehungen brannten darauf, einander in die Arme und dann ins Bett zu fallen, wo sie sich vor lauter Sehnsucht nach dem perfekten Wochenende erst mal kräftig in die Wolle kriegen würden. Was hatte ich es gut, dass mein Freund und ich nur ein paar Kilometer auseinander wohnten! Und jetzt würden wir das erste Mal gemeinsam wegfahren. Gut, lieber hätte ich mich von Leon in ein Romantikhotel mit Begrüßungscocktail, großem Wellnessbereich und Candle-Light-Dinner einladen lassen, als bei seinen Eltern zu übernachten, aber das konnte ja noch kommen.
In den letzten Tagen hatte ich versucht, weitere Bewerbungen zu schreiben, aber ich war unkonzentriert gewesen. Jedes Mal, wenn ich an der Fleischtheke im Supermarkt oder an einem Dönerstand vorbeiging, dachte ich an Tarik und wie seine Hand langsam auf meinem Rücken nach unten gewandert war. Was wäre wohl passiert, wenn wir uns tatsächlich geküsst hätten? Ich versuchte mich daran zu erinnern, dass ich eine glückliche Beziehung führte, aber der Gedanke an Tarik und die Nacht im
Tango Ocho
hielt sich hartnäckig.
Manchmal wünschte ich mich zurück in vergangene Zeiten. Man hatte sich auf der Kirmes im Nachbardorf den Mann ausgesucht, der am wenigsten schielte und humpelte, war mit ihm im Heu gelandet, hatte im fünften Monat geheiratet und das Kind als Frühchen ausgegeben. Nach dem fünften Kind baute man gemeinsam ein Haus und stellte dann fest, dass man sich nichts mehr zu sagen hatte. Das war doch irgendwie unkomplizierter als heute, wo man sich im Internet den Mann mit den besten Eigenschaften aussuchen konnte, als wäre er eine Pizza in der Tiefkühltruhe!
Leon und ich hatten über den Streit Donnerstagnacht nicht mehr gesprochen, so, als hätten wir Stillschweigen darüber vereinbart.
Leon kam auf mich zu. Tarik schrumpelte in meiner Fantasie zusammen, bis er nur noch so groß war wie ein Playmobil-Männchen. Ach, was sah er gut aus! Er trug Jeans, ein hellbraunes, leicht zerknittertes Leinenjackett ohne Krawatte und ein Hemd in ähnlichem Ton. Sehr geschmackvoll. In der Hand hielt er einen Aktenkoffer. Er sah aus wie ein Mann, der in der globalisierten Welt zu Hause ist. Nur der Rucksack auf dem Rücken passte nicht so richtig zu dem Outfit.
»Die wunderbarste Frau der Welt wartet auf mich«, rief Leon aus und nahm mich schwungvoll in die Arme.
»Kommst du direkt von Bosch?«, fragte ich.
Leon nickte. »Ich habe mich von einem Arbeitskollegen mitnehmen lassen, sonst wäre es zu hektisch geworden. Immerhin brauchte ich heute keine Krawatte.
Casual Friday
.«
Mittlerweile war der ICE eingefahren. Leon nahm mich an der Hand und zog mich hinter sich her. Ich freute mich auf die Fahrt. Zugfahren war ja so viel angenehmer als Autofahren, vor allem am Wochenende, wenn die Autobahnen verstopft waren. Ich hatte vor, mich die kompletten fünf Stunden an Leon zu kuscheln, zu entspannen, ein bisschen zu träumen, zu knutschen und zu
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