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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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schien, als sei er der geheime Mittelpunkt des Raums, auf den sich alle Aufmerksamkeit konzentrierte.
    Ich setzte mich auf einen Stuhl und beobachtete die Paare auf der Tanzfläche. Die Frauen trugen elegante Marlene-Hosen mit Neckholder-Tops oder kurze Röckchen mit Leggins darunter und sehr hochhackige Schuhe, die Männer sahen mit Hemden und Hosen eher normal aus. Tango schien ein beängstigend intimer Tanz zu sein, bei dem man sich so eng wie möglich aneinanderpresste und bei dem es offensichtlich nicht so viel zu lachen oder zu reden gab, denn die Tänzer wirkten ungeheuer ernst und konzentriert. Viele Tanzpaare hatten die Augen geschlossen und bumperten erstaunlicherweise trotzdem nicht ineinander. Ab und zu erstarrte ein Paar ohne erkennbaren Grund mitten in der Bewegung. Ich hielt jedes Mal die Luft an, bis sich die Bewegung auflöste und die Frauen entweder ihre endlos langen Beine um die Männer herumwickelten oder sie zwischen den Männerbeinen zackig nach oben schleuderten, was ich ziemlich riskant fand, für die Männer. Es war faszinierend. Ich seufzte, blickte auf meine Beine, die leider zu kurz waren, um sie irgendwo herumzuwickeln, und meine angenehm flachen Sandalen, mit denen man definitiv nicht leidenschaftlich auf dem Boden aufstampfen konnte. Ich sehnte mich nach einer normalen Disco, in der man »We are the Champions« mitgrölen und dazu herumzappeln konnte, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob man tragisch aussah.
    Tarik kam zurück. Er balancierte in der einen Hand zwei Rotweingläser und auf der flachen anderen Hand eine Serviette. »Mund auf, Augen zu«, befahl er.
    Ich öffnete gehorsam den Mund und Tarik schob etwas Warmes, Weiches hinein. Ich biss zu. Mmmh. Das war aber lecker!
    »Lass die Augen zu!«, rief Tarik beschwörend. »Was schmeckst du?«
    »Teig. Irgendwas Gemüsiges. Hackfleisch«, sagte ich.
    »Genau«, flüsterte Tarik. »Fleisch. In einer argentinischen Empanada. Gibt es etwas Genialeres auf der Welt als Fleisch?«
    Ich schluckte den Bissen hinunter, öffnete die Augen wieder und nahm einen Schluck Rotwein. Irgendwie war der Typ reichlich durchgeknallt.
    »Ich ess auch gern Fleisch«, sagte ich. »Aber Pommes und Pizza sind auch nicht schlecht. Hast du wegen des Fleischs eine Döner-Ausstellung gemacht?«
    Tarik nickte. »Ja. Ich liebe Fleisch. Es ist der Inbegriff der Sinnlichkeit. Nicht nur Fleischfleisch. Auch Obstfleisch. Der süße Saft einer Orange, der dir am Kinn herunterrinnt! Und weibliches Fleisch. Brüste, schwer wie türkische Melonen. Komm, wir tanzen.« Tarik sprang auf und griff nach meiner Hand.
    Imaginäre Pfeile bohrten sich in meinen Rücken.
    »Tarik, du hast sie nicht mehr alle! Ich hab doch gesagt, ich kann nicht Tango tanzen!«
    »Weißt du, was das Schönste am Tango ist?«, flüsterte Tarik. »Hier führt der Mann. Ein echter Macho-Tanz für einen echten Macho-Türken und seine Muse.«
    Na gut. Ich hatte mich schon lange nicht mehr öffentlich lächerlich gemacht. Wenigstens kannte mich hier keiner. Tarik zog mich auf die Tanzfläche und legte seine rechte Hand fest um meine Taille. Ich legte meine Hand auf seinen Rücken. Das T-Shirt fühlte sich gut an, seidig und kühl. Die Musik setzte ein. Eine Geige seufzte. Tarik drückte mit seinen Knien gegen meine und setzte mich wie eine Marionette in Bewegung.
    »Lass dich einfach fallen«, sagte er. »Hör auf zu denken.«
    Ich durfte aber nicht aufhören zu denken. Wenn ich aufhörte zu denken, dann würde ich spüren, dass Tariks Nähe etwas zutiefst Beunruhigendes hatte. Etwas, das mich komplett vergessen ließ, dass ich keine Brüste wie türkische Melonen hatte und dass mein Musenjob etwas rein Platonisches sein sollte. Und dass ich einen Freund hatte, der nur ein paar Tage verreist war und morgen wiederkommen würde. Ein Freund, der mir Stabilität gab. Ein Freund, dem ich vertrauen konnte und der mir vertraute ... Wie hieß er noch gleich ...
    Tariks Hand wanderte mehr auf meinem Rücken herum, als mir lieb war. Er hatte die Augen geschlossen und bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit. Wieso rempelten wir nicht mit anderen Paaren zusammen, obwohl ich mir doch reichlich Mühe gab, ihn von seinem Kurs abzubringen, indem ich ihm permanent auf die Zehen trat? Wahrscheinlich hatte er so eine Art eingebaute Einparkhilfe, die in ihm drin piepte, wenn wir einem anderen Paar zu nahe kamen. Seine Wange lag an meiner und drehte sich langsam, ganz langsam in Richtung zu meinem Mund. Er roch

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