Brezeltango
nach Aftershave. Gleich würde er mich küssen, und ich war nicht sicher, ob ich mich wehren würde. Da. Die letzten Takte der Musik. Ich schloss die Augen, stellte das Denken ab und wartete wie elektrisiert, dass Tariks Lippen meine berührten ...
Tarik packte mein rechtes Bein, wickelte es blitzschnell um seine Hüfte und machte einen gewaltigen Ausfallschritt, sodass mein linkes Bein gedehnt wurde wie das einer Ballerina im Spagat. Leider war ich nicht so beweglich wie eine Ballerina. »Aua!«, brüllte ich. »Du tust mir weh!«
Tarik stellte mich zurück auf die Füße. »Tsss. Du bist ja total steif«, sagte er tadelnd und angelte nach der Sandale, die ich bei dem Manöver verloren hatte.
Die Blicke der anderen Frauen waren seltsamerweise nicht mehr neidisch, sondern äußerst vergnügt.
Wir gingen zurück an den Tisch und prosteten einander zu. Tarik saß sehr nahe bei mir. Er berührte mich nicht. Das war auch überhaupt nicht nötig. Nach drei Sekunden kehrte der Zauber von vorhin zurück. Tarik zog mich an wie ein magischer Riesenstaubsauger. Leon, dachte ich. Leon, Leon, Leon. Du erinnerst dich, Line? Dein Freund. Du bist sehr glücklich mit ihm. Der Freund kommt morgen wieder und du freust dich schrecklich darauf, nicht wahr?
Tarik sah mich prüfend an. »Ist irgendwas? Du wirkst leicht gestresst.«
»Nein, nein ...«, stotterte ich. »Ich habe nur an die Wäsche gedacht, die ich noch bügeln muss.«
Tarik schüttelte den Kopf und sagte anklagend: »Das ist nicht gerade ein Kompliment für einen türkischen Mann. Entspann dich! Genieß den Abend! Die Musik! Den Augenblick!«
»Lass uns über dieses Musendings reden«, sagte ich, um auf neutraleres Terrain zu kommen. »Gibt’s da eine Jobbeschreibung?«
»Du musst einfach nur da sein. Wir gehen aus. Reden. Tanzen. Trinken. Du inspirierst mich. Wir sind sinnlich.«
So wie eine Geisha? Das klang doch ein bisschen sehr nach Objekt. Lila würde es als weibliche Ausbeutung bezeichnen.
»Mir fehlt da so ein bisschen der Win-win-Effekt«, sagte ich. »Was springt für mich dabei raus?«
»Zunächst mal: Alle Spesen gehen auf mich. Und was für dich rausspringt? Sinnlichkeit«, flüsterte er, »Horizonterweiterung, wie du sie dir niemals träumen lassen würdest. Ich glaube, dir würde ein bisschen mehr Sinnlichkeit nicht schaden. Rein platonisch, natürlich.« Er beugte sich vor und seine dunklen Augen bohrten sich in meine.
Ich zuckte zurück. »Erzähl mir mehr von deiner Arbeit.«
Tarik fuhr sich durch sein wirres Haar, zog einen Zahnstocher aus der Hosentasche und begann, darauf herumzukauen. »Die Kunstkritik nennt mich Tarik, den Four-D-Creator. Mein Hauptthema ist Fleisch«, sagte er. Seine Augen funkelten. »Immer nur Fleisch.«
»Ja, das hatten wir schon«, sagte ich.
»Fleisch ist Horizonterweiterung. Und Kaffee.«
»Kaffee?«
»Türkischer Mokka. Den brauche ich zum Wachbleiben.«
Jetzt fehlte nur noch die Wasserpfeife. Damit hatte Eric M. Hollister versucht, mich um den Finger zu wickeln.
»Wieso hast du so viele Groupies?«
Tarik zuckte mit den Schultern. »Ganz einfach. Kunst beschäftigt sich mit Lebensfragen. Zuerst bringe ich die Studentinnen zum Nachdenken. Dann gebe ich vernichtende Urteile über ihre Arbeiten ab, bis sie total verunsichert sind und mich um Hilfe bitten. Jetzt mache ich einen auf väterlich-verständnisvoll. Sie schmelzen dahin, erklären mich zu ihrem Guru und himmeln mich an. Ich habe acht Studentinnen in meiner Meisterklasse an der Kunstakademie, ungefähr fünfzig bettelten um einen Platz. Sie wollen mich alle. Fleisch eben.«
»Klingt ein bisschen fies«, sagte ich.
Tarik warf seine Haare zurück. »Ich belüge niemanden. Außerdem hole ich so alles aus den Studentinnen heraus. Ich tanze auch mit ihnen im Unterricht.«
»Tango?«
»Nein. Spirituelle Tänze in wallenden Gewändern, die die Kreativität fördern. Und jetzt bringe ich dich nach Hause.«
Ich war fast ein bisschen enttäuscht, als Tarik das sagte. Andererseits war es für meinen Seelenfrieden sicher besser. Sollte sich Tarik noch ein Häschen suchen, das ihm das Bett wärmte! Wir tauschten Telefonnummern aus.
Eine halbe Stunde später hielt Tarik vor Lilas Häuschen. »Hübsche Gegend«, sagte er. »Also dann, ich melde mich bei dir. Wundere dich nicht, wenn es eine Weile dauert. Wenn ich arbeite, tauche ich völlig ab. Und ich spüre, dass ein kreativer Schub kommt. Danke für die Inspiration.« Er schob den Zahnstocher auf die Seite
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