Brezeltango
reden.
Kaum waren die ankommenden Reisenden ausgestiegen, knufften und pufften sich die Einsteigenden unter Zuhilfenahme von Hartschalenkoffern und spitzen Gegenständen nach drinnen. Wir kämpften uns durch das Abteil, umschifften entgegenkommende Rollkoffer, Menschen, die verzweifelt versuchten, ihr Gepäck auf den schmalen Ablagen zu verstauen, und zwei Männer, die sich um den gleichen reservierten Platz stritten, bis einer der beiden endlich merkte, dass er im falschen Wagen war.
»Es gab leider keine Plätze mehr nebeneinander«, sagte Leon und führte mich an einen Vierertisch.
So viel zum Thema Kuscheln. Immerhin waren es Fensterplätze. Noch waren die beiden Gangplätze frei.
»Vielleicht kommt ja niemand mehr, dann können wir uns nebeneinandersetzen«, sagte ich hoffnungsvoll.
Leon beugte sich über den Tisch, nahm meine Hand und sagte eifrig: »Wir sind kurz nach halb sieben in Hamburg. Ich dachte, wir gehen dann noch eine kleine Runde an der Alster spazieren, bevor wir zu meinen Eltern fahren. Damit du noch was siehst, bevor’s dunkel wird.«
»O ja, wie schön!«, rief ich aus. Je weniger potenzielle Schwiegereltern, desto besser. Das sagte ich natürlich nicht laut.
»Und morgen habe ich noch eine Überraschung für dich. Hat auch mit Wasser zu tun. Du hast dir doch ein Wasser-Wochenende gewünscht.«
»Ich liebe Überraschungen! Verrat’s mir, bitte!«
Leon schüttelte grinsend den Kopf. Ich war ja nun aus meinem Leben Überraschungen aller Art gewöhnt. Leider waren die in der Regel unangenehm, vor allem, wenn Männer beteiligt waren. Leon verschwand, um sich im Klo etwas Bequemeres anzuziehen. Der ICE sauste in einen Tunnel.
»Do simmer!«, rief plötzlich eine dröhnende Stimme.
Um mich herum wimmelte es plötzlich von Männern, die lautstark unzählige Gepäckstücke verteilten. Meine Güte, das war ja eine komplette Fußballmannschaft! Allerdings sahen die Typen dafür zu schlecht trainiert aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Truppe ausgehandelt hatte, wer welchen Sitzplatz einnehmen würde, wo der Lambrusco und die Bierdosen waren und wann man das Vesper einnehmen würde, das die zu Hause gebliebenen Frauen liebevoll zubereitet hatten.
Schnaufend ließ sich einer der Männer neben mir auf den Sitz fallen. »So, jetz könne mer uns unnerhalde«, rief er seinem Kumpel zu, der es sich gegenüber gemütlich gemacht hatte und fürsorglich sein T-Shirt mit beiden Händen nach unten zog, damit ich ungehindert die Schrift: »Bier formte diesen schönen Körper« auf dem Kugelbauch lesen konnte.
»Unnerhalde, isch hab kee Luschd zu unnerhalde«, rief er aus. »Essa un Halligalli Ballamann! Ei, da lachd der!«
Das versprach in der Tat eine heitere Fahrt zu werden. Offensichtlich hatten die elf erwachsenen Söhne von Heinz Becker die Plätze um uns herum reserviert. Eifrig begannen sie nun damit, ihre Taschen auszupacken. Mein Gegenüber goss aus einem Tetrapack mit der schwungvollen Aufschrift »Original Lambrusco« Wein in Plastikbecher und verteilte die Becher unter großem Hallo an die anderen Jungs, während mein Nachbar damit begann, Dosen aus einer riesigen Tasche auf dem Tisch aufzubauen. Sekunden später reihte sich Tupperdose an Tupperdose, gefüllt mit hart gekochten Eiern, Cornichons, Saitenwürstchen, Käsewürfeln, klein geschnittenem Brot und Weintrauben. Als Nächstes öffnete er mehrere Dosen mit Hausmacher-Wurst, spießte die Wurststücke auf einem Schweizer Messer auf und verteilte sie in alle Richtungen. Ein dickes Stück Fleischwurst schwebte an mir vorbei.
Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Tarik, dachte ich, Fleisch, und zwang mich, den Gedankengang sofort einzustellen. Tarik hatte bei einem glücklichen Paar-Wochenende mit Leon nun wirklich nichts in meinem Kopf verloren!
Mit jedem Schluck Wein wurden die Jungs fröhlicher und lauter. O je. Hoffentlich war die Truppe nicht auf dem Weg zu einem Wochenende auf der Reeperbahn und blieb uns bis Hamburg erhalten …
Leon kam in T-Shirt und Jeans zurück und betrachtete amüsiert die Veränderung, die in seiner kurzen Abwesenheit eingetreten war. Neben dem Mann mit dem Bierbauch-T-Shirt wirkte er geradezu schmächtig.
»Hör mol, dusch du schnarche?«
»Morjens, jo. Aber isch hab kee Luschd, ins Bett zu leje, mir mache doch zehn Tache dursch! Isch will in Thailand a billisch Mädel kennelerne!«
»Und ’s Chrischdl?«
»’s Chrischdl, hör ma uff!«
Thailand! Das klang nach Frankfurter Flughafen. Pech
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