Brezeltango
Simon?«, fragte er.
»Nein«, sagte ich. »Simon ist der Polizist, der sich nach der Kinderwagenentführung so lieb um mich gekümmert hat.«
»Aha«, sagte Leon und zog ganz leicht eine Augenbraue hoch.
»Fängst du schon wieder mit der Aha-Nummer an?«, sagte ich gereizt. »Er wollte einfach nur wissen, wie es mir geht, sonst nichts!«
In diesem Augenblick klingelte das Handy wieder. Bitte nicht noch mal Simon!
»Hallo, Line, hier ist Tarik!«
»Hallo, Tarik«, sagte ich und spürte, wie mir langsam die Röte ins Gesicht stieg. Das war ja wie verhext! »Tarik, ich sitze im ICE nach Hamburg. MIT MEINEM FREUND. Es ist sehr laut, ich verstehe dich kaum. Ich rufe dich nächste Woche zurück, okay?«
»Dann red ich einfach lauter!«, brüllte Tarik ins Handy. »Ich wollte dir unbedingt erzählen, dass mich die Nacht im
Tango Ocho
zu einem grandiosen Fleischklops-Kunstwerk inspiriert hat!«
Der ICE raste in einen Tunnel und die Verbindung brach ab. Gott sei Dank! Ich war puterrot geworden. Hoffentlich hatte Leon nichts verstanden.
»Noch zugestiegen? Die Fahrkarten, bitte!« Der Zugbegleiter, der mich vor dem Klo erwischt hatte, marschierte geradewegs in unser Abteil.
Panisch riss ich Leon das
mobil
-Heftchen aus der Hand und hielt es mir aufgeklappt dicht vor die Nase. Zum Glück hatte Leon die Fahrkarte. Eine Sekunde später kam der Zug aus dem Tunnel und das Handy klingelte wieder. Na großartig! Das Telefon klingelte aufdringlich. Was sollte ich jetzt bloß tun? Wenn ich nicht dranging, machte ich mich vor Leon verdächtig. Und wenn ich dranging ... Ich hielt mit einer Hand das Magazin fest und angelte mit der anderen nach dem Handy. Unter dem Heft tauchte ein Fahrkartenmaschinchen an einem Stück Zugbegleiterhose auf. Leider hatte ich keine dritte Hand, um das Gespräch zu dämpfen.
»Ich wollte nur sichergehen, dass du mich verstanden hast«, brüllte Tarik so laut, dass man es vermutlich noch in der ersten Klasse verstehen konnte. »Die Nacht mit dir war super! Total inspirierend!«
Ich drückte panisch den Ausknopf und ließ das Handy auf den Tisch fallen, als sei es eine heiße Kartoffel. Ganz langsam senkte ich das Bahn-Magazin. Der Zugbegleiter war weg. Leon hatte sich vorgebeugt und musterte mich stirnrunzelnd. Die Söhne von Heinz Becker stießen sich gegenseitig in die Rippen und feixten.
»Lassen Sie uns doch bitte mal raus«, sagte Leon sehr bestimmt. »Line, wir beide gehen jetzt ins Bordbistro, einen Kaffee trinken.«
Ich kletterte widerspruchslos auf den Gang. Leon steuerte mich energisch am Ellenbogen durch die Abteile. Ich stolperte vor ihm her, am Katastrophen-Klo vorbei, an dem mittlerweile ein Schild hing: »Außer Betrieb.«
Im Bordbistro drückte mich Leon auf einen Sitz, ging an die Theke und kam nach wenigen Minuten mit zwei Tassen Milchkaffee wieder. Dann setzte er sich neben mich auf die Bank und sagte sehr ruhig: »Tarik. Kenne ich einen Tarik?«
»Leon, das ist ein Missverständnis!«, platzte ich heraus. »Tarik ist der Türke, mit dem ich letzte Woche Tango tanzen war. Da ist überhaupt nichts passiert, wirklich nicht! Er ist Künstler, und ich habe ihn zu einem Fleischklops-Kunstwerk inspiriert, das ist alles!«
»Fleischklops-Kunstwerk. Interessant. Und warum versteckst du dich dann beim Telefonieren hinter dem Bahn-Heftchen, wenn das alles so harmlos ist?«
»Weil ich das Klo in Einzelteile zerlegt hatte und mich vor dem Schaffner verstecken wollte!«
Leon wirkte nun schon etwas milder gestimmt. »Vielleicht könntest du die Art deiner Beziehung zu Tarik erläutern? Das würde es mir etwas leichter machen.«
»Das habe ich dir doch schon erzählt! Er ist Künstler, ich habe ihn auf seiner Vernissage kennengelernt. Er meinte, er würde eine Muse suchen, und dann sind wir ins
Tango Ocho
gegangen. Bei den Wagenhallen. Um darüber zu reden.«
»Eine Muse? Was soll das heißen, eine Muse?«
»Einfach jemand, der ihn zu seiner Kunst inspiriert. Rein platonisch! Und das hat offensichtlich geklappt, und er wollte mir nur kurz Bescheid geben. Das ist alles.«
Leon starrte mich an, als sei ich völlig bekloppt. »Line, vermisst du irgendetwas in unserer Beziehung?«, fragte er schließlich.
»Wie meinst du das?«
»Manchmal frage ich mich, was du eigentlich an mir findest.«
Ich dachte einen Moment nach. Gefühle und Worte, das war nicht so mein Ding. Im Kopf war das leichter.
Ich räusperte mich. »Nun, du bist irgendwie süß, und du hast einen knackigen Po, und du
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