Brian Lumleys Necroscope Buch 3: Blutmesse (German Edition)
Gedanken nicht unterdrücken. »Bist du selbst von da gekommen?«
Ich? Ob ich einst ein Bewohner dieser legendären Vampirwelt war? Oh nein, Harry, nicht ich – aber mein Großvater.
»Dein Großvater? Weißt du, wo er liegt, wo seine Gebeine begraben sind?«
Begraben? Der alte Belos Pheropzis? Leider nein, Harry. Die Römer haben ihn hundert Jahre vor eurem Christus gekreuzigt und verbrannt. Und als ich das letzte Mal etwas von meinem Vater gehört habe, hieß es, er sei im Jahr 547 auf See verschollen, irgendwo vor der Mündung der Donau im Schwarzen Meer. Er hat als Söldner für die Ostgoten gegen Justinian gekämpft und war damit ja wohl auf der falschen Seite. Ach, wir Wamphyri waren zu unserer Zeit schon ein wilder Haufen! Man konnte so sein Glück machen, wenn man die Nerven dazu hatte.
»Wie kannst du mir dann helfen?« Harry war ratlos. »So wie es aussieht, liegen zwischen dir und deinem Großvater fast tausend Jahre. Was immer er auch über seine Herkunft, über seine Heimatwelt gewusst hat, ist mit ihm gestorben.«
Aber es gibt da Legenden, Harry. Erinnerungen, Geschichten, die der alte Belos seinem Sohn Waldemar erzählt hat, der sie dann an mich weitergegeben hat. Die sind heute noch so frisch in meinem Gedächtnis wie damals, als er sie mir erzählt hat. Ich habe sie in Ehren gehalten, denn es war alles an Wamphyri-Historie, was ich je erfahren würde. Ich war damals immer noch ein Getreuer meines Vaters. Wenn Thibor, dieser undankbare Schuft, seine Lehrzeit bei mir beendet hätte, dann hätte ich die Legenden an ihn weitergegeben. Aber das hat er natürlich nie getan. Nun, wenn du stattdessen diese Geschichten hören möchtest – die vielleicht die Hinweise enthalten, die du brauchst, um deine Suche zu beschließen –, dann komm zu mir an den bekannten Ort und rede mit mir, wie wir es schon früher getan haben.
Faethors Stimme war sehr schwach. Nachdem er im zweiten Weltkrieg bei einem Bombenangriff getötet und verbrannt worden war, war das, was von ihm übrig war, dort in die Erde gesickert, wo sein Haus gestanden hatte, in einem Vorort von Ploiesti bei Bukarest. Für jemanden wie ihn musste es eine immense Anstrengung bedeuten, nach all dieser Zeit und über all diese Kilometer hinweg zu sprechen. Andererseits kannte Harry aber auch die verschlagene Natur der Vampire – aller Vampire. Es kam selten vor, dass sie etwas taten, was nicht zuerst ihnen nützte. Aber Faethor war auch in der Vergangenheit nicht sehr orthodox gewesen. Harry würde ihn nie mögen oder ihm auch nur ansatzweise trauen, aber in gewisser Weise respektierte er ihn.
»Keine Hintergedanken?«, fragte er.
Hintergedanken? Ich bin ein totes Etwas, Harry. Von mir ist nur meine Stimme geblieben. Und nur du kannst sie hören – und natürlich die Toten, wenn sie zuhören wollen. Und sogar die schwindet mit den Jahren. Aber ... Harry fühlte sein geistiges Achselzucken ... tu einfach, was du für richtig hältst. Ich folge nur den Wünschen der Toten.
Harry würde sich damit zufrieden geben müssen. »Ich werde kommen. Aber abgesehen davon, dass ich nach Informationen hungere, habe ich auch ganz normalen Hunger. Gib mir eine Stunde, und ich werde da sein!«
Lass dir Zeit , antwortete Faethor. Ich habe genug davon. Kennst du den Weg noch? Seine Stimme versickerte jetzt, versank in den Fernen des Geistes.
»Ja, ich erinnere mich noch sehr gut.«
Ich werde auf dich warten. Und dann wird die große Mehrheit vielleicht so gut sein und mir meinen Frieden lassen ...
Harry wusch und rasierte sich, zog sich frische Kleidung an, frühstückte – falls man es denn am Nachmittag noch so nennen darf – und kontaktierte das E-Dezernat. Er erzählte Darcy Clarke kurz, was er getan hatte und was er jetzt tun würde. Clarke gab ihm ein mahnendes »Pass auf dich auf« mit auf den Weg, dann war Harry bereit.
Er benutzte das Möbius-Kontinuum und begab sich nach Ploiesti.
Die Umgebung war im Großen und Ganzen die Gleiche wie vor acht Jahren: Faethors Haus am Rande der Stadt war eine von mehreren ausgebrannten Ruinen, die nur noch teilweise aus mit Gestrüpp überwachsenem Schutt herausragten, steinerne Leichname auf ansonsten offenem Gelände. Es war dunkel hier um 18:50 Uhr mitteleuropäischer Zeit, aber Harry hatte noch genug Licht, um sich eine umgestürzte Mauer zu suchen, auf die er sich setzte. Er hatte sein Ziel gefunden und konnte Faethors Präsenz wie ein Leichentuch über dem Ort spüren, auch wenn es ein Leichentuch war,
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