Bride 02 - Tempel Der Liebe
großen Wert auf meine Ausbildung. In einigen europäischen Fächern hat er mich selbst unterrichtet, und es war ihm sehr daran gelegen, dass ich gute Lehrer für Chinesisch, Literatur und Geschichte hatte.«
»Die Schotten legten schon immer größten Wert auf die Ausbildung. Meine Mutter gehörte zu den belesensten und gebildetesten Frauen, die ich kenne. So wie du.«
Troth senkte den Blick und streichelte das Kätzchen. »Wohnt mein Onkel in der Nähe?«
»Er lebt mit seiner Familie in einem Haus außerhalb von Melrose. Leicht zu Fuß zu erreichen.« Kyle schwenkte den Wein in seinem Glas und betete zum Himmel, dass ein gebildeter Mensch seine exotische Nichte mit offenen Armen empfangen würde, auch wenn ihre Abstammung nach britischen Maßstäben nicht musterhaft war.
Und wenn Montgomery sie abwies, dann würde ... dann würde er ...
Er wusste noch nicht, was er tun würde. Wie schade, dass man sich nicht mehr duellieren durfte.
KAPITEL 39
Troths Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie mit Vaters Bibel in der Hand und Kyle im Gefolge den Weg zum Haus des Schullehrers James Montgomery entlang ging.
»Dort muss das Haus sein.« Kyle deutete auf ein gepflegtes Steinhaus, größer als die üblichen Häuser hier, mit weiß getünchten Wänden und einer schlafenden Katze neben der Tür. Er sah Troth an. »Das Schlimmste ist gleich überstanden.«
Sie nickte. Ihr Mund war zu trocken, um zu sprechen. Kyle pochte an die eisenbeschlagene Tür. Viel zu rasch wurde sie von einem hoch gewachsenen Mann geöffnet, der sie freundlich fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
Troth stockte der Atem. Mein Gott, er sah wie ihr Vater aus! Die gleiche Größe, die gleiche Gesichtsform, das gleiche dichte, rotbraune Haar, das jetzt mit grauen Strähnen durchwachsen war. Er ist einige Jahre jünger als Vater, dachte sie.
»Sie sind James Montgomery, Bruder des verstorbenen Hugh Montgomery aus Macao?«
Die buschigen Brauen des Mannes wölbten sich. »Aye.«
Kyle packte Troth beim Arm und schob sie nach vorn. »Darf ich Ihnen Ihre Nichte, Troth Montgomery, vorstellen? Sie ist erst seit einigen Monaten in England.«
Montgomerys langer Unterkiefer klappte nach unten. Der Mann schien einen Schock erlitten zu haben. Seine grauen Augen blickten sie starr an. Troth wollte auf dem Absatz kehrt machen, aber Kyle hielt sie mit eisernem Griff am Ellenbogen fest. Dann hob er die Stimme und brüllte wie ein Schullehrer: »Mutter, Jeanie! Hughs Troth ist hier!«
Kyle zog Troth in das Haus. Innerhalb von Sekunden tauchten aus dem nächsten Zimmer zwei Frauen auf, die sich rasch die mehlbestäubten Hände an der Schürze abwischten. Eine war ein hübscher Rotschopf mittleren Alters. Sie musste Montgomerys Frau sein. Die andere war älter. Sie hatte schneeweißes Haar, war groß, schlank und hielt sich für ihr Alter auffallend aufrecht.
Als zwei Hunde zu bellen anfingen, ging die weißhaarige Frau auf Troth zu. Sie musste ungefähr achtzig sein, aber der Blick war ungetrübt und scharf. »Die Tochter von meinem Hugh«, sagte sie fassungslos. Tränen traten ihr in die Augen. »Siehst wie er aus, Kind.«
Diese offensichtlich törichte Bemerkung brachte Troth zum Weinen. Die alte Frau umarmte sie. »Ich ... ich wusste nicht, dass ich eine Großmutter habe«, schluchzte Troth hilflos.
Troth hatte sich die verschiedensten Szenen ausgemalt, von bitterer Ablehnung bis zu widerwilliger Anerkennung, aber nicht im Traum hätte sie gedacht, dass sie so spontan und herzlich begrüßt werden würde. Während die Großmutter sie zu einem Eichenstuhl führte, auf dem es sich bequemer weinen ließ, hörte sie, wie Kyle sich als Maxwell vorstellte und wie ihr Onkel ihn mit seiner Frau Jean und seiner Mutter Mairead bekannt machte. Verwundert fügte James hinzu: »Wir dachten, du wärst bei dem Schiffsunglück mit Hugh untergegangen. Wo hast du all die Jahre gesteckt, Mädchen?«
»In Kanton«, antwortete Kyle, da Troth noch nicht zu sprechen vermochte. »Ein chinesischer Freund ihres Vaters, ebenfalls Kaufmann, nahm sie als Waise auf.«
Während Troth sich um Fassung bemühte, legte ihr einer der struppigen Hunde die Pfoten auf die Knie und drückte die feuchte Nase an ihre Wange. Gleichzeitig lachend und weinend richtete sie sich auf und suchte nach einem Taschentuch. Kyle reichte ihr sein eigenes.
Nachdem sie sich die Nase geputzt und die Augen trocken gewischt hatte, sagte sie: »Entschuldigt, dass ich so ein Theater aufführe, aber ich ...
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