Bride 03 - Die Entfuehrte Braut
der unzähligen Palastdächer, nur einen Steinwurf weit entfernt. Jetzt wurde ihm klar, warum man versucht hatte, sich über den Felsen Zugang zum Palast zu verschaffen und warum jeder Überfall scheitern musste.
Er blickte hinunter in die Arena und machte die Gestalt des Sultans und Alexandras aus, die aus dem Schutz des Pavillons hervorgetreten waren. Er wickelte den selendang ab, hob den Arm und ließ das scharlachrote Banner im Winde flattern. »Für Amerika und Alexandra!«, brüllte er in den Himmel.
Als unten die Trommeln schlugen, nahm er sich einen Augenblick Zeit, um seinen Triumph zu genießen. Dann knotete er den selendang um eine Felsnase und begann den Abstieg. Die Erschöpfung und die Gefahr, auf Grund seines Erfolges leichtsinnig zu werden, machten diesen Teil der Aufgabe besonders tückisch.
Das Hinabsteigen erforderte höchste Konzentration, so dass er den finsteren Himmel erst über sich bemerkte, als ihn ein heftiger Windstoß auf halber Höhe packte. Da er in diesem Moment gerade dabei war, sein Gewicht auf den anderen Fuß zu verlagern, geriet er aus dem Gleichgewicht. Ein Regenschauer klatschte ihm ins Gesicht, und er verlor den Halt. Als er hilflos den Fels hinabrutschte, schallten Schreckensschreie aus der Arena zu ihm herauf.
Instinktiv versuchte er sich irgendwo mit den Händen festzukrallen, an einer Wurzel oder lockerem Strauchwerk in einer Felsspalte, an allem, was seinen Fall bremsen konnte.
Das Entsetzen dauerte eine Ewigkeit, bevor die verzweifelt nach Halt suchenden Finger der linken Hand ein hervorstehendes Stück Felsgestein ergreifen konnten. Die Wucht des Falls und das Gewicht seines Körpers schienen seine Armmuskeln in brennendem Schmerz zu zerreißen. Zum Glück konnte er sich so lange festhalten, bis er mit einem Fuß Halt in einer schmalen Felsspalte fand, dann mit dem zweiten.
So hing er an der steilen Felswand und schnappte im gnadenlos auf ihn herabprasselnden Regen nach Luft. Auch wenn es ihn jetzt mit aller Macht danach drängte, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, nahm er seinen Abstieg erst wieder auf, als er seine Kräfte gesammelt hatte und wieder einigermaßen ruhig atmen konnte. Dann kletterte er langsam und vorsichtig die letzte Etappe hinunter.
Der Regenguss endete so plötzlich, wie er begonnen hatte. Als er am Fuß der Wand angekommen war, schien die Sonne wieder und trocknete seine durchweichte Kleidung. Als er zum Pavillon hinüberging, versuchte er so gelassen wie möglich auszusehen, so als ob er just von einem Spaziergang im Park zurückkäme. Er verneigte sich vor dem Sultan. »Eure Hoheit, ich habe den Felsen der Sorgen bestiegen und das Banner meiner Lady gehisst.«
»Gut gemacht!« Kasans Lächeln schien aufrichtig zu sein. »Dann bis morgen, Captain, zur nächsten Aufgabe.«
Gavin blickte zu Alex. Sie schenkte ihm ein warmherziges, erleichtertes Lächeln und sah so erschöpft aus, wie er sich fühlte. »Wirklich, sehr gut gemacht, Mylord Captain.« Bei diesen leise gesprochenen Worten begriff er, warum die Ritter im Mittelalter ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, um die Gunst ihrer Lady zu gewinnen.
Dann fiel sein Blick auf den Elfenbeinwürfel, der stumm auf den nächsten Tag wartete. Die Freude an seinem ersten Erfolg verblasste, als ihm bewusst wurde, dass die nachfolgenden Aufgaben weit schwieriger sein würden.
Alex war froh, dass sie wieder in den Käfig in Gavins Gemächern zurückgebracht worden war. Gavin war auf dem Weg zum Palast von verschiedenen Männern aufgehalten worden, die ihn zu seiner Leistung beglückwünschen wollten, und so hatte sie geduldig auf ihn gewartet. Als er in den Salon trat, fühlte er sich einen kurzen Augenblick lang unbeobachtet, und sie konnte seinem Gesicht die ausgestandene Angst und Erschöpfung ansehen. Als er sie entdeckte, erhellten sich seine Züge. »Sie haben Sie zurückgebracht! Das freut mich, obwohl Sie es in den Frauengemächern wahrscheinlich viel bequemer hätten.«
Sein Anblick erfreute ihr das Herz. Ohne auf das Klirren ihrer Ketten zu achten, streckte sie die Hände durch die vergoldeten Gitterstäbe. »Gott sei Dank, Sie sind wohlauf! Ich habe zehn Jahre meines Lebens verloren, als Sie abgerutscht sind.«
Er nahm ihre Hände, und sie spürte, wie sich zwischen ihnen plötzlich eine sonderbar prickelnde Erregung ausbreitete, die sie im Augenblick nicht näher ergründen wollte. Ruhig sagte sie: »Es ist kaum zu glauben, dass wir uns gerade erst begegnet sind.
Weitere Kostenlose Bücher