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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Arbeitskollegen würden, wenn sie davon erführen, sicher denken, wie langweilig dieser Job sein muss. Mir hingegen gefällt das tausendmal besser, als Häftlinge zu bewachen oder ein Haus zu stürmen, um jemanden festzunehmen, während die Frauen und Kinder ringsherum schreien, heulen und wehklagen. Anfangs, in meinen ersten Jahren bei der Polizei, fand ich es aufregend, den Menschen mit der Pistole in der Hand Angst einzujagen. Jung und auf Abenteuer aus, kannte ich nichts Spannenderes. Inzwischen spielt so etwas für mich keine Rolle mehr. Die Ruhe und die geachtete Position, die ich erreicht habe, sind unersetzlich. Endlich kann ich viele meiner Träume erfüllen, und ich will sogar noch mehr erreichen: eine kleine Villa am Tigris.
    Wahnsinn, wie mein Leben sich in so kurzer Zeit verändert hat … Mein echtes Leben begann an einem Montag, vor vielen Jahren. An jenem Tag sagte mir meine Mutter: »Mein Sohn, keine Sorge! Du bist ein Märtyrersohn. Sie müssen dich aufnehmen. Alle, die einen Märtyrer in der Familie haben, sind privilegiert. Das hat unser Präsident zugesichert. Du bekommst ganz sicher die Zulassung zur Polizeiausbildung. Ich werde zur Al-Kadhum-Moschee gehen, zu Gott flehen und den Imam bitten, dir zu helfen!«
    Letztendlich behielt meine Mutter Recht. Der Himmel hörte ihre Gebete und erfüllte ihre Bitte. An jenem Tag, die Muezzin riefen gerade zum Morgengebet, die Hähne weckten das Viertel, viele Bewohner von Saddam City verließen soeben das Bett, und der Lärm der Vögel wehte über die Straße, da verließ ich die Wohnung in Richtung Bahnhof, stieg in den Bus zum Zentrum und stand kurz vor sieben Uhr an der Polizeiakademie. Die morgendlichen Sonnenstrahlen berührten mich sanft, und der frühe Tag strahlte Ruhe und Harmonie aus.
    Bis zur Mittagszeit, als die Sonne unbarmherzig brannte, die morgendlichen friedlichen Geräusche sich in ein lärmendes hektisches Getümmel verwandelt hatten und die Schar der jungen Männer vor dem Informationsschalter der Polizeiakademie um ein Hundertfaches zugenommen hatte, wartete ich angespannt auf das Ergebnis. Schließlich erschien ein Uniformierter, stellte sich auf ein Podest, nahm ein Heft in die Hand und begann zu lesen. Er verlas zuerst die vollständigen Namen und dann entweder »zugelassen« oder »abgelehnt«. Ungefähr um 12.20 Uhr, mit dem Beginn des mittäglichen Rufgebets: »Allah Akbar – Gott ist groß …«, rief der Polizeibeamte: »Kamal Karim, zugelassen.«
    Anfangs sprachlos und skeptisch, hüpfte ich alsbald fröhlich durch das Haupttor der Akademie, wie ein Schulkind in der Unterrichtspause oder wie von einer Schlange gebissen. Irgendwann konnte ich meine Glückstränen nicht mehr stoppen, sie rollten über meine Wangen. Ich schaute in den Himmel, der nicht mehr blau war, sondern sich wegen der Hitze und des Staubs fast gelb gefärbt hatte, und rief: »Lieber Gott, vielen Dank!« Dann ging ich direkt in die Moschee gegenüber der Akademie, um das Mittagsgebet zu verrichten und mich bei Gott persönlich zu bedanken.
    Damals musste jeder, der achtzehn Jahre alt wurde und sich nicht an der Universität oder in einer Schulausbildung befand, für mindestens sechsunddreißig Monate zur Armee. Daher war die Polizeiakademie ein Traum für jeden jungen Mann, der nicht an der Front verrecken wollte. Und wer will das schon? Ich wollte das nicht. Mir war klar, dass die Polizeiakademie meine Rettung und zugleich meine Zukunft darstellte. Ich bewarb mich, glaubte aber nicht wirklich daran, dass ich Glück haben könnte. Schließlich stellten sie mich aber doch ein als Polizist, und zwar nicht als irgendeinen, sondern als Sicherheitspolizist. Jeder Iraker zittert vor Angst, wenn er dieses Wort »Sicherheit« hört. Was muss man tun, wenn man vor einem echten Sicherheitspolizisten steht?
    Als Jugendlicher war ich in der neunten Klasse zweimal sitzengeblieben, weil ich die Mittelschulprüfung nicht bestanden hatte. Nach der zweiten missglückten Klausur musste ich mich den Vorschriften entsprechend von der Schule verabschieden. Da ich die Schule nicht mochte, war mir das ziemlich egal. Hauptgrund für mein Scheitern waren die geisteswissenschaftlichen Fächer, besonders die Sprachen: Englisch und Arabisch. Meine Mutter Nejla konnte und wollte nicht verstehen, warum Englisch und Hocharabisch Pflichtfächer waren, nicht jedoch Irakisch und Kurdisch. »Natürlich schafft mein Sohn diese Prüfung nicht«, beklagte sie sich bei den Frauen der

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