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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Nachbarschaft. »Mein Sohn redet wie alle hier nur Irakisch und wohnt mit den Kurden in der Kurdengegend in Saddam City. Nie im Leben ist er einem Menschen begegnet, der richtiges Hocharabisch spricht, noch hat er einen englischsprachigen Kanarienvogel. Sein Vater Karim, Gott segne seine Seele, würde mir beipflichten, wenn er noch hier wäre.«
    Meinen Vater nannte man Abu-A-Nafed, Vater des Petroleums, weil er als Petroleum-Verkäufer gearbeitet hatte. Er besaß einen Karren und einen Esel, mit denen er täglich losfuhr, um Petroleum an die Leute zu verkaufen. Seinen Karren schmückte er mit Schutzversen aus dem Koran und mit einer Hand der Fatima aus Gips gegen böse Blicke. Im ersten Jahr des Irankrieges musste er uns und seinen Job verlassen und als Soldat einen Panzer an der Front fahren. Obwohl im Innenraum seines Panzers auch eine metallene Hand der Fatima hing, erreichten ihn die bösen, die feurigen Blicke. Die Rakete eines iranischen Soldaten traf Vaters Panzer, und er starb. In einem mit der Nationalflagge bedeckten Sarg kehrte er zurück.
    Nach meinem Abschied von der Schule musste ich arbeiten und Geld nach Hause bringen. So tun es die Männer, predigte meine Mutter. Doch viele Arbeitsmöglichkeiten gab es nicht. Was sollte ein junger Bursche anfangen, der aus einer armen Familie stammt und nicht einmal die Mittelschulprüfung bestanden hat? Neben dem Petroleumverkauf oder der Arbeit auf einer Baustelle war auch die Tätigkeit als Sekin – Busfahrerhelfer – ein einfacher Job, den ich sofort antreten konnte. Ich entschied mich für diese Arbeit, weil ich den Beruf meines verstorbenen Vaters nicht mochte und weil mir die Arbeit auf dem Bau, die ich zweimal ausprobiert hatte, körperlich zu anstrengend war. Von nun an musste ich also den ganzen Tag mit dem Busfahrer Safi Hamza verbringen, von morgens bis abends. Ich kümmerte mich um die Fahrkarten, putzte den Toyota Coaster und erledigte alle Kleinigkeiten, die der Fahrer ungern tat. Doch Busfahrerhelfer zu sein ist nicht der Traumjob, den man sich vorstellt. Schließlich bedeutet »Sekin« im Irak auch »Boy« oder »Schwuchtel«. Ich musste jeden Tag, wenn mein Chef Safi eine Pause einlegte, am Straßenrand sitzen und warten. Mittags ging er mit den anderen Fahrern essen, Kebab oder gegrillte Innereien mit Tomaten, Zwiebeln und frisches Fladenbrot. Wir, die Sekin, die unfreiwilligen Pflanzenfresser, mussten draußenbleiben und sollten uns von Falafel oder Auberginen ernähren. Oft riefen sie »Schwuchtel« hinter uns her, manchmal machten sie Witze über uns, einige von uns mussten sogar für die Fahrer singen und tanzen, damit die sich während des Essens nicht langweilten.
    Ich stellte mir oft vor, dass ich irgendwann einmal Safi Hamza verprügeln würde. Ich tat es aber nie, auch nicht, als ich schon Polizist war und keiner in meiner Anwesenheit mehr das Wort »Schwuchtel« benutzte. Ich rächte mich jedoch auf meine Art. In Uniform oder in Zivil, mit der Pistole an der linken Hüfte, tauchte ich alle paar Wochen am Busbahnhof auf. Wenn Safi mich erblickte, rannte er sogleich zu mir, salutierte wie ein Soldat und räumte irgendeinen Stuhl oder Hocker frei, damit ich mich setzen konnte. Jedes Mal genoss ich es zu sehen, wie Safi katzbuckelte und alles versuchte, damit ich, sein ehemaliger Boy, mich wohlfühlte. Manchmal verspürte ich eine unbändige Lust, ihm einfach in seine bösartige Fresse zu spucken. Ich tat es aber nicht. Es genügte mir, dass Safi und einige Fahrer mich fürchteten, und ich empfand Genugtuung, wenn sie mir, den sie früher mit ein paar Auberginen am Straßenrand abspeisten und für sich tanzen ließen, mir jetzt vorauseilend einige Dinar-Scheine in die Hosentasche steckten, mit den Worten: »Bitte, für die lange Freundschaft.«
    Unglaublich, aber wahr: Wenn die Menschen sich schwach fühlen, werden sie freundlich und zugänglich. Das habe ich immer wieder mitbekommen, seit ich Polizist bin. Selbst die Mädchen meines Viertels, die mich früher gemustert hatten, als wäre ich ein bejammernswerter Esel oder ein lebloser Stein, warfen mir in meiner Uniform ganz andere Blicke zu. Plötzlich fühlte ich mich wichtig und begehrt. Anfangs wunderte ich mich jedes Mal aufs Neue, wenn sie mich anlächelten. Selbst die hübsche Zahra, die früher meinen Gruß einfach übersehen hatte, begann plötzlich, mir einen »Guten Tag« zu wünschen. »Keine Frau wird dich in Zukunft abblitzen lassen, wenn du sie heiraten willst«, sagte meine

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