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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Mutter, die ihren unendlichen Stolz auf mich offen zeigte. »Polizist bist du nun, mein Sohn. Du bist die Regierung! Sag nur, welche Frau du willst, ich bringe sie dir nach Hause, ich will ja deine Kinder sehen, bevor ich sterbe.«
    So half mir meine Polizeiuniform dabei, Zahra zur Frau zu bekommen, was ich früher nicht einmal im Schlaf erträumt hatte. Ich musste nur ihren Namen aussprechen, schon sagte meine Mutter: »Warte ab! Ich erkundige mich nach ihrem Ruf und dem ihrer Familie und gebe dir dann gleich Bescheid, ob es möglich ist.« Tatsächlich fand sie jede Kleinigkeit heraus. »Zahra ist Jungfrau, ihr Vater ist Bäcker, die Familie hatte nie Probleme mit dem Staat, keiner sitzt im Gefängnis oder so. Alles ist perfekt.« Nach zwei Wochen fand die Verlobung statt und schon drei Monate später die Hochzeit. Sechs Wochen danach zog ich um, verließ meinen Geburtsort Saddam City und ließ mich in einem besseren Viertel nieder.
    Der Tag, an dem ich Saddam City verließ, war mein wahres Freudenfest. Wer in Bagdad besser leben will, sollte diesen Ort meiden. Die City ist das ärmste Viertel der Stadt. Erhält jemand die Gelegenheit, irgendwo anders zu leben, ist es, als würde ihm ein neues Leben geschenkt.
    Mir kommt ein Tag im August in Erinnerung, aus meiner Zeit als Sekin. Am Busbahnhof im Bab-A-Sharqi, dem Osttor in Bagdad, konnte man den lärmenden Autogeräuschen nicht entgehen. Der Asphalt brannte wie Glut unter der Asche. Staub begrüßte alle, überall. Die Sonne baumelte am Himmelszelt, schlug wie ein Monster mit tausend feurigen Armen auf die Erde ein und brachte die Luft zum Glühen, bis sie einem den Atem nahm. Dem Bahnhof fehlte das Dach, sodass wir der brennenden Sonne ausgesetzt waren. Die Metallwände reflektierten die Sonnenhitze auf den Asphalt. All das ähnelte einem großen Lagerfeuer.
    Als Sekin musste ich vor dem Bus wie ein Marktschreier brüllen: »Saddam City, Richtung Joader! Noch freie Plätze. Schnell, bevor wir losfahren!« Die Leute wirkten erschöpft. Fast alle litten fürchterlich unter der Hitze. Jeder versuchte, irgendeinen sonnengeschützten Platz zu ergattern, den Schatten eines Wagens oder einer Mauer. Diejenigen, die immer noch frisch aussahen, waren in der Minderheit: ein Mädchen mit einem Stapel Papier in der Hand. Ein großer Mann mit einer schwarzen, glänzenden Kunstledertasche. Ein kleinerer mit gestreifter Krawatte. Eine Frau mit langen roten Haaren. Eine weitere mit einem schwarzen Gewand und einem Schleier, der nur ihre Augen unverhüllt ließ. Eine mit einem Minirock und großem Hintern, grell geschminkt und von allen Anwesenden ausgiebig beäugt, ehe sie in einen der Busse stieg.
    Die Händler dagegen waren weder erschöpft noch richtig fit, aber immer damit beschäftigt, neue Kunden anzulocken. Alle hielten zum Schutz große Sonnenschirme, standen vor ihren Waren und warben ohne Unterlass um Kundschaft. Die Kaltwasser-, Getränke-, Zigaretten-, Sonnenblumenkern-Verkäufer …
    Safi saß am Steuer und trank ständig aus seiner Wasserflasche, und ich wartete ungeduldig auf die baldige Abfahrt. Noch immer war der Bus nicht voll. Dann, wie aus dem Nichts, vermehrten sich die Reisenden. Etwa hundert junge Männer, alle in Khaki-Kluft, übermüdet und miserabel gelaunt, suchten die Busse nach Saddam City, in die beiden großen Stadtteile: Joader und Dachel.
    Ich wollte gerade »Richtung Joader« rufen, da stellte sich ein junger Sekin vor mich. Er breitete seine Arme im 180-Grad-Winkel aus, genau wie Jesus am Kreuz, zeigte auf die Busse nach Joader und nach Dachel und brüllte plötzlich: »Saddam City: Joader – Hiroshima, Dachel – Nagasaki. Schnell! Bewegt euch! Hiroshiiiiiima, Nagasaaaaaaki …« Ich und einige andere sahen den Burschen verwundert an, weil wir nicht wussten, was Hiroshima und Nagasaki sein sollte. Andere Leute lachten und gingen weiter ihres Wegs.
    Noch am selben Tag erfuhr ich die Bedeutung der Wörter und hörte das erste Mal von den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki in Japan am Ende des Zweiten Weltkriegs im August 1945. Und die Verwandlung der beiden Stadtteile von Saddam City in zwei bombardierte japanische Städte auf der Zunge dieses merkwürdigen jungen Busfahrerhelfers geschah ebenfalls im August. Der seltsame Sekin stieg in seinen Bus, als der mit Passagieren gefüllt war, und verschwand. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen.
    Der Umzugstag war für mich also der Beginn des neuen Lebens, das ich immer

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