Brief in die Auberginenrepublik
Hochachtung. Sie kam jedoch nicht allein, ihr Vater begleitete sie. Der alte Mann bot nun doch 1100 Dollar, alles, was sie zusammenkratzen konnten. Also 400 Dollar Verlust! Ich nahm das Geld an, gab ihnen den Brief und sagte zu Bouchra: »Die Antwort kannst du einfach im Tahrir-Import-Export-Büro abgeben. Ich kümmere mich um den Rest.« Und tatsächlich meldete ich den Fall nicht meinem Chef.
Nun öffne ich einen weiteren Brief: »Mama, ich vermisse Dich!« Das ist der Anfang? Was soll das Ende sein? Ich will Milch aus deinen Brüsten? Ich werfe das Papier in die Ecke, weil er nur unwichtige Informationen enthält.
Die Adresse des nächsten Briefes kommt mir merkwürdig vor: »Samia Michael, Joader – Saddam City, Block 58, die Straße gegenüber der Al-Thoura High-School (bitte den Hausmeister der Schule fragen!), Bagdad, Irak.« Das ist meine Gegend! Früher habe ich dort gewohnt. Samia Michael? Kenne ich nicht. Ist sie eine Christin? Ja, bestimmt. Michael ist ein christlicher Name, denke ich. Doch im Block 58 wohnen eigentlich fast nur Kurden. Handelt es sich vielleicht um eine kurdische Christin? Das ist wirklich sehr interessant und seltsam! Christen beschäftigen sich mit anderen Dingen, aber nicht mit Politik. Noch nie habe ich einen Fall gehabt, in den ein Christ verwickelt war. Samia Michael? Ganz sicher ist sie eine Christin.
Vielleicht ist sie eine gute Beute? Entweder Geld oder eine Bettgeschichte? Christliche Männer haben genug Geld, arbeiten hier als Alkoholverkäufer, Autohändler, Clubbesitzer, Zuhälter, die Frauen sind oft Ärztinnen, Tänzerinnen, Huren, Kellnerinnen oder Schauspielerinnen, sehen richtig sexy aus: pralle Ärsche und immer halbnackt angezogen, wie die geilen Frauen in den Modezeitschriften. Ich habe nie in meinem Leben eine irakische Christin gefickt. Hoffentlich hat diese Frau politischen Mist gemacht. Vielleicht ist es auch ein guter Fall für Oberst Ahmed? Eine Christin, die Politik betreibt. Das wäre ein Superfall.
Ich öffne den Brief.
Du lasest einen Brief von mir.
Wie sehr ich ihn beneide!
O wär mein Körper das Papier
Zu deiner Augenweide.
Muhammad Al-Mutamid Ibn Abbad
Liebe Samia,
wir werden uns immer finden, sogar auf dem Friedhof. Erinnerst Du Dich an diesen Satz? Ich habe ihn nie vergessen, denke gerade daran und vermag meine Tränen nicht zurückzuhalten. Vor ungefähr drei Jahren lagen wir beisammen, bei mir zu Hause, auf dem blauen Sofa, das Du die Faulheitsecke nanntest, weil es so bequem war. Nackt lagen wir darauf. Ich streichelte deinen Rücken, erblickte das Muttermal auf Deinem Hintern und erzählte, ich hätte ein ebensolches zwischen meinem Glied und den Eiern. Neugierig betrachtetest Du es und freutest Dich darüber wie ein Kind. »Herrlich!«
Ich erzählte Dir, dass man im Islam glaubt, Muttermale wären Grablichter für gute Menschen, Lichter in der Dunkelheit und der Unheimlichkeit des Grabes. Plötzlich strahlten Deine Augen, als ob Du endlich gefunden hättest, was Du immer bei mir gesucht hast. Du blicktest mir in die Augen: »Ihr Muslime seid echt komische Leute mit Euren Geschichten! Bedeutet das, Dein Penis wird glänzen und leuchten, für immer? Auch nach dem Tod? Und mein Hintern ebenfalls? So werden wir uns keinesfalls aus den Augen verlieren, nicht einmal im Grab?!«
An diesem Tag lachten wir pausenlos, Liebste.
Das Schönste in meinem jetzigen Leben sind meine Erinnerungen an Dich, an unsere Geschichte, unsere Gespräche und unsere unvergleichlichen Nächte. Und der Rest? Was soll ich erzählen? An schlechten Tagen sagte meine Mutter oft: »Aus diesem Leben werden wir nur die Müdigkeit mitnehmen.« Und ich? Ich fühle mich unendlich müde. Dabei denke ich an einen anderen Satz meiner Mutter: »Das Meer ist nirgendwo. Es ist in uns. Wir müssen es in uns entdecken, nur in uns.« Klingt das kitschig? Doch sind naive Vorstellungen nicht die schwierigsten im Leben? Wer lässt sich von ihnen überzeugen? Wir neigen dazu, alles kompliziert zu betrachten und zu deuten. Welt und Leben zu vereinfachen ist eine Kunst, die nicht jeder beherrscht. Und die Künstlerinnen, die mein Leben vereinfachen und erträglich machen, seid Ihr, meine Mutter und vor allem Du. Ihr seid zurzeit das Meer, das in mir schäumt. Ohne meine Erinnerungen an Euch ertrüge ich das Leben im Exil nicht.
Wie geht es meiner Mutter? Besuchst Du sie? Krank und schwach fühlte sie sich, als ich das Land verließ. Ich bete, dass sie noch unter uns weilt …
Schatz,
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