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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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witzig!«, zog die Klinge mit einer raschen Bewegung durch seine Kehle und ließ den Jungen zu Boden sinken. Blut quoll aus seinem Hals wie die Fontäne eines Springbrunnens. Sein schmächtiger Körper zitterte einige Sekunden und hörte dann auf, sich zu regen.
    Ich war entsetzt und wünschte mich wieder in den Libanon zurück, in meine Studienzeit. Hätte ich doch nie wieder irakischen Boden betreten! Aber diese Gedanken, die mich in letzter Zeit öfter gequält hatten, verblassten am nächsten Tag wieder, als Murad sich bei allen Offizieren entschuldigte und versprach, im Verhör nie wieder solche Maßnahmen zu ergreifen.
    Onkel Murad ist eigentlich ein netter Mensch. Er ist hilfsbereit, liebt seine Familie und erledigt seinen Job gewissenhaft. Gelegentlich überkommen ihn religiöse Anwandlungen, die allerdings nicht lange andauern. Er kehrt schnell zu sich selbst zurück, säuft dann Alkohol bis zur Besinnungslosigkeit und erzählt Witze über die Religion und sogar über unsere Regierung. Der schelmische Kapo hatte einfach Pech, dass Murad sich damals zufällig in einer seiner religiösen Phasen befand. So ist mein Onkel, und dagegen kann er offensichtlich nichts machen. Ich persönlich habe wirklich viel von ihm gelernt. Ich weiß nicht, wie ich ohne Murads Unterstützung klargekommen wäre. Daran will ich gar nicht denken.
    Schon nach sechs Monaten kannten mich in der Sicherheitsbehörde alle. Man gab mir sogar einen Beinamen und nannte mich »Ahmed der Wolf«, weil ich die Verdächtigen belauerte wie ein Wolf die Schafe, um dann plötzlich zuzustoßen. Ich hatte die Fähigkeit erworben, im Verhör jeden dazu zu bringen, seine Verbrechen und die Namen seiner Mittäter preiszugeben. Die Anklagen, die ich anschließend erhob, bekamen stets große Beachtung. Hatte ich es mit Kurden zu tun, so hatten sie großes Pech, weil ich diese Schweine, die meinen Vater töten wollten und dabei sein Bein verstümmelten, immer auf besondere Art und Weise bestrafte …
    Früher war ich ein einfacher Student gewesen, der Taschengeld von seinem Vater erhielt. Nun befand ich mich in einer neuen Situation, besaß Geld und Macht. Schon nach drei Monaten im Beruf bekam ich 200 000 Dinar, ein Grundstück und einen Mercedes als Lohn für meine gute Arbeit in der Angelegenheit der »Seite des Verrats«, und zwar direkt vom Präsidenten. Meine Kollegen in der Sicherheitsbehörde erhielten ebenfalls Geschenke. Zusätzlich gab es 20 000 Dinar für jeden Verdächtigen, den ich verhört und als Verräter entlarvt hatte.
    »Das Leben ist ein Wunder. Und der Irak ist das Land der Wunder. Wenn man versteht, wie sie funktionieren, kann man auch selbst Wunder vollbringen«, sagte Murad. »Wir bewirken Wunder. Wir sind die Wunder dieses Landes. Niemand kann vollbringen, wozu wir in der Lage sind. Bedingungslose Treue ist in unserem Beruf der Schlüssel zum Wunder. Und du bist treu.«
    Ein Jahr später geschah das nächste Wunder meines Lebens, als ich eben zufällig erneut vor dem ersten Mann des Landes stand. Saddam Hussein erschien unerwartet in dem Untersuchungsgefängnis, in dem ich Dienst tat. Murad, ich selbst und die anderen Offiziere waren völlig überrascht, als die Leibwächter des Präsidenten mit Saddam und seinem Sohn Qusi in der Haftanstalt auftauchten.
    Saddam betrat das Büro, und alle riefen im Chor: »Hoch lebe Saddam, Führer des Siegs und des Friedens!« Murad, Saddam und Qusi umarmten sich. Mein Onkel schaute Saddam an, drehte sich dann um und befahl allen, das Büro zu verlassen. Bevor ich die Tür erreichte, hörte ich hinter mir die Stimme des Präsidenten. »Bist du der blonde Löwe, der Sohn von Kader?«
    Ich blieb stehen, drehte mich um und antwortete lächelnd: »Ihr Diener, Herr!«
    »Ich erinnere mich an dich. Aus dir ist ein rechter Löwe geworden, wie es dein Vater und dein Onkel sind. So wurde es mir letztens berichtet. Geh jetzt! Wir werden uns bestimmt wiedersehen.«
    Salutierend verließ ich das Büro und begab mich schnellen Schrittes zu den anderen Offizieren. Ich war überrascht, wie stark und lebhaft das Gedächtnis des Präsidenten war. Nach so vielen Kriegen und Verpflichtungen hatte er mich nicht vergessen, den blonden Jungen aus Ramady? Oder war es der Freundschaft mit meinem Vater geschuldet? Und was hatte man ihm über mich berichtet?
    Nach einer knappen Viertelstunde verließ der Präsident die Haftanstalt, und ich kehrte ins Büro zurück.
    »Und?«, fragte ich meinen Onkel.
    »Ein Wunder, schon

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