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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abbas Khider
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Schiiten zu stoppen. »Die streunenden Hunde«, wie man die Aufständischen im staatlichen Fernsehen bezeichnete, gingen kurz nach Kriegsende im Norden und Süden des Landes auf die Straße, stürmten blitzartig die Militärkasernen und eroberten die Städte. Mein Vater blieb in Erbil, im Hauptquartier des Nordens, und kämpfte mit seinen Soldaten wie ein Löwe um seine Stellung. Viele hochrangigere Offiziere und Truppenführer taten dies nicht, sondern machten sich aus dem Staub, als »die Seite des Verrats« begann. Nachdem schließlich sogar seine Bodyguards geflohen waren, bereitete er die Flucht mit seinem Hubschrauber vor. Auf dem Weg zur Maschine wurde er angeschossen. Zwei Schüsse ins Bein.
    Weinend beugte ich mich über das Bett meines verletzten Vaters. Sein Gesicht wirkte eingefallen und fahl. Abgemagert und traurig lag er da. Nie zuvor hatte ich ihn so gesehen. Er war immer stolz, kraftvoll und furchtlos gewesen. Oft hatte er behauptet, er hätte in seinem Leben niemals einen Arzt konsultiert. Jetzt kümmerten sich vier Ärzte um ihn.
    »Diese schiitischen Affengesichter und diese kurdischen Ratten sind jetzt schwer bewaffnet«, sagte er mir. »Die Ratten werden vom Westen und die Affengesichter von den Iranern unterstützt. Dieses Mal geht es wirklich ums Überleben. Entweder wir oder sie. So leicht werden wir die Macht nicht abgeben. Dazu müssen sie schon über unsere Leichen marschieren. Und das erlauben wir ihnen niemals.«
    »Jetzt ruhe dich erst einmal aus, Vater!«
    »Lass mich zu Ende reden!«
    »Entschuldige.«
    »Die Söhne unserer Stämme versammeln sich. Alle unsere Männer bewaffnen sich, um unsere Herrschaft zu verteidigen. Auf dich wartet eine Aufgabe in der Hauptstadt. Morgen musst du früh nach Bagdad fahren. Der neue Übergangschef der Sicherheitsbehörde erwartet dich. Es ist dein Onkel Murad. Er braucht dich dort. Lass mich stolz sein auf dich, wie immer, mein Sohn! Beflecke nicht das Gesicht unserer Familie mit der Farbe der Unehre!«
    Obwohl ich lieber bei meinem Vater geblieben wäre, musste ich gehorchen und am nächsten Tag nach Bagdad reisen. Endlich sah ich die Hauptstadt wieder, Bagdad, das ich fast vier Jahre vermisst hatte. Doch alles war chaotisch, Teile der Stadt waren zerstört. »Schuld sind die amerikanischen Bomben und Raketen!«, erklärte Onkel Murad, der mir genauso erschöpft vorkam wie die ganze Stadt. Das hatte ich bei ihm noch nie erlebt. Immer schick angezogen und gut aussehend, so kannte ich Murad früher.
    »Wir haben viel durchgemacht«, erzählte mein Onkel. »Zuerst der Kuwaitkrieg, jetzt sind die primitiven Kurden im Norden und die schiitischen Bauern im Süden aus ihren Löchern gekrochen. Richtige Menschen wollten wir aus diesem Abschaum machen, doch sie ziehen es vor, wie Tiere und Insekten zu leben. Die Amerikaner, die Iraner und die Verräter aus den Golfstaaten kämpfen gegen uns. Und unsere Landsleute nutzen das aus und zerstören das Land. Mein Gott, wir haben doch alles: Geld, Prestige und Stärke. Ich verstehe das wirklich nicht. Doch die Zeit der Rache ist gekommen. Wir werden sie jagen. Ich schwöre, dass ich jede kurdische oder schiitische Ratte, die ich erwische und die sich mit den amerikanischen Eunuchen, arabischen Arschlöchern oder iranischen Hurensöhnen eingelassen hat, eigenhändig zu Tode prügeln werde.«
    Ich schwieg, denn ich wusste um die Bedeutung der Worte meines Onkels. Murad war schon immer berüchtigt, keine Gnade zu kennen, wenn es um seine Vorstellung von Verrat und Ehre ging. Einmal hatte er sein Messer gezückt und seinem Schwager die Kehle aufgeschnitten, weil der seine Frau, Murads Schwester, »Tochter einer Hure« genannt hatte. Unendlich viele solcher Geschichten über die Heftigkeit und den Jähzorn meines Onkels kannte ich aus Erzählungen. Nun erlebte ich sie täglich. Früher, als ich klein war, waren wir oft zusammen auf Entenjagd gegangen. Nun jagte er Menschen. Und ich ahnte, dass ich ihnen folgen sollte, dass ich von nun an Menschen bestrafen müsste, die meinen Vater, meinen Onkel und den Rest meiner Familie zu vernichten trachteten.
    Damals begriff ich nicht genau, was im Land vor sich ging, spürte aber die kritische Lage und sah, dass man hart und mit allen Kräften zuschlagen musste. Ich hörte es von allen Seiten. Der Aufstand dauerte nicht lange. Nur ein paar Wochen kämpften wir gegen die
»
streunenden Hunde«. Die anschließende Säuberung des Landes von den Verrätern dauerte dagegen Monate. In

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