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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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gesund, wenn sie ein Alter, wie diese gewiß
hatte, von 45 bis 50 Jahren erreicht. Auch diese war schon einmal gespalten, ich hatte aber durch eine, angelegte starke Klammer ihr wieder Festigkeit gegeben. Der Sturm hat sie langsam niedergebeugt und die Wurzeln mit aus der Erde gerissen. Der Ahorn war noch größer und schöner, aber leider so gespalten, daß ich den ganzen Baum habe müssen abhauen lassen. Nun ist eine Lücke entstanden, die man, wenn man nicht die Ursache weiß, für absichtlich hält, da sie gerade vom Hause eine hübsche Aussicht auf den See gibt, die mir aber leid tut, so oft ich hinblicke. Die Bäume sind darin eigentlich unglücklich, zu allem Wind und Wetter, allen Verunglimpfungen der Vögel und Insekten, der Beschädigungen durch Menschen garnicht zu gedenken, geradezu still halten zu müssen und sich nicht vom Fleck rühren zu können. Tieren steht es doch frei, einen Schutz zu suchen, und doch kann man sich kaum erwehren, die Bäume auch als empfindende Wesen anzusehen. Lebende sind sie offenbar. Ihr Neigen sieht oft wie eine Klage aus, daß sie so unbeweglich dastehen müssen; der Sturm ist ohnehin die unerfreulichste, ja man kann wohl sagen, fürchterlichste Naturerscheinung. Schon daß er eine so furchtbare Gewalt unsichtbar ausübt und man gar nicht einmal begreift, wie er plötzlich entsteht und sich wendet, macht ihn viel schauerlicher als die anderen Naturerscheinungen, die mehr in die Augen fallen. Bei Stürmen denke ich noch allemal
mit größerer Teilnahme, wie Sie darunter leiden, da Sie mir wohl gesagt haben, daß Ihr Gartenhaus so wenig Sie sichert.
    Sie haben es sich schon wieder müssen gefallen lassen, daß ich mich in meiner Liebe für die Bäume habe gehen lassen, aber Sie sind zu gut und unendlich gut und sagen mir sehr freundlich, daß Ihre eigenen Empfindungen für meine Lieblinge der freien Natur sehr gesteigert seien und Sie jetzt die belaubten Mitbewohner Ihres kleines Gebiets mit größerer Liebe betrachten als früher. Das sind so schöne und zart weibliche Äußerungen, daß ich sie mit Vergnügen gelesen habe und Ihnen recht innig dafür danke, liebe, gute Charlotte.
    Sie sprechen in Ihrem Brief davon, daß ich wohl in diesem Sommer nach Schlesien gehen würde und dies Ihnen minder lieb sei, weil es Ihnen eine so weite Entfernung dünke. Ich gehe aber leider, obgleich ich Schlesien nicht berühren werde, in diesem Sommer noch weiter. Ich begleite nämlich meine Frau ins Bad nach Gastein. Dies Bad liegt hinter Salzburg und ist also nahe an 120 Meilen von hier. Wir gehen aber erst im Juli fort, und ich werde Ihnen in meinem nächsten Briefe, den ich noch vor meiner Abreise von hier schreiben werde, sagen, wohin ich Sie bitten werde, die Briefe an mich zu richten. Ich werde auch bei dieser Gelegenheit einmal wieder München besuchen, wo ich seit sehr langen Jahren nicht war. Unsere Abwesenheit wird bis in den September hinein dauern,
da mit der Hin- und Rückreise schon bedeutende Zeit verloren geht und der Aufenthalt in München hinzukommt. Gastein ist eine der interessantesten Gegenden Deutschlands. Ich habe es zwar noch nicht selbst gesehen, da im vorigen Jahr meine Frau ohne mich da war, aber ich kenne Salzburg, und dort fängt das Gebirge an, von dem das Bad Gastein gewissermaßen die letzte und äußerste Schlucht ist. Gastein wird vom Norden Deutschlands wenig besucht, von Österreich und Bayern aber, und selbst aus Italien sehr viel. Dennoch sind alle Anstalten zum Wohnen und Leben dort sehr schlecht, und man denkt auch wenigstens nur sehr langsam darauf, sie zu verbessern. Da ich Tegel sehr liebe, so gehe ich eigentlich immer ungern weg. Doch ist das überwunden, wenn man im Wagen sitzt, und in vieler Rücksicht freue ich mich auf diese Monate. Ich habe sehr lange keine Berge und überhaupt keine wahrhaft große, schöne Natur gesehen, und so versetzt man sich immer gern in eine solche. Das Gasteiner Wasser gehört übrigens zu den wirksamsten, die man kennt. Was aber die Gesundheit betrifft, so gehören die Badereisen zum Teil auch zu den Moden der Ärzte. In meiner Kindheit und ersten Jugend war es höchst selten, daß jemand, wenn er auch bedeutend leidend war, sich in Bewegung setzte, um seine Gesundheit durch ein Bad wieder herzustellen. Jetzt sind die Menschen beweglicher geworden und finden mehr Vergnügen an dem Hin- und Herwandern, wissen sich auch, obgleich
alles jetzt kostbarer ist, die Mittel dazu zu schaffen, und so entsteht in jedem Sommer

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