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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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kolossale Aufgabe, die ihm bevorstand.
    Pakxe war eine Stadt ohne Zentrum. Sie lag an der Mündung des Xedon in den Mekong und war in den letzten Jahren so stark gewachsen, dass ihre Außenbezirke inzwischen auch die Ufer der beiden Flüsse zu überwuchern drohten. Die Siedlung hatte keine besondere historische Bedeutung. Dieser Ehrentitel gebührte Bassak, knapp vierzig Kilometer stromabwärts. Die alte Hauptstadt von Champasak hatte allmächtigen und berüchtigten Herrschern als Regierungssitz gedient: ein Ort der Legenden. Einst war sie das Herz des südlichen Königreiches gewesen; eines Tages dann hatte dieses Herz aufgehört zu schlagen, hatte es den Willen zur Größe verloren. Pakxe hingegen bot sich auf Grund seiner Nähe zu Thailand und der beiden Flüsse als Handelsplatz geradezu an. Die Franzosen hatten dies sogleich erkannt und die Stadt zu ihrem Verwaltungszentrum im Süden gemacht. Dass sie nicht schon viel früher zur Kapitale erkoren worden war, grenzte an ein Wunder. Bassak verfiel, kaum dass seine Bewohner es verlassen hatten. Wie jeder anständige Historiker weiß, zieht die Nostalgie gegen den Handel stets den Kürzeren.
    Als eine auf Gier und Gewinnsucht gebaute Stadt eignete sich Pakxe schwerlich als Touristenattraktion. Nichts an ihr war prachtvoll oder spektakulär genug, um es auf einer Postkarte zu verewigen, mit der man die Lieben daheim hätte beeindrucken können. Nicht einmal der hässliche, unvollendete Palast des verbannten Regenten war es wert, fotografiert zu werden. Die Regierungsgebäude waren schlicht und schmucklos; die Häuser dienten einzig und allein dem Zweck, von drinnen nach draußen zu sehen. Selbst die Tempel schienen nichts weiter als ein schwacher Abklatsch ihrer ungleich schöneren Schwestern im Norden. Die Straßen bestanden aus gelbem Lehm, und die wenigen Pflanzen, die den Bau halbwegs wohlbehalten überstanden hatten, verschwanden unter einem Tarnanstrich aus Schmutz und Ruß. Wenn Luang Prabang, die Hauptstadt des Nordens, als Kronjuwel Indochinas gelten durfte, war Pakxe die Gesäßklappe der königlichen Unterhose.
    Siri und Civilai bezogen die beiden benachbarten Zimmer im ersten Stock des Hotels Pakxe folglich nicht, um sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Civilai hatte seine berühmte Brille mit der enganliegenden Wollmütze eines Mönchs vertauscht. Er hatte sich unter dem Namen Sawan registriert und war der felsenfesten Überzeugung, dass der Nachtportier nicht wusste, wer er war. Da niemand wusste oder wissen wollte, wer Siri war, verzichtete er auf ein Pseudonym. Die beiden Konterrevolutionäre saßen auf der Kante von Civilais Bett und starrten fasziniert auf die gerahmte Kreuzstichstickerei an der Wand, die Hirsche in einem nordischen Bach darstellte. Über ihren Köpfen drehte sich gefährlich schwankend ein Deckenventilator.
    »Da kriegt man richtig Sehnsucht nach Skandinavien, nicht?«, fragte Siri.
    »Wie spät ist es?«
    »Acht.«
    Sie waren frühzeitig am Flughafen Wattay gestartet und pünktlich in Pakxe eingetroffen. Was ihre Nachforschungen betraf, konnten sie ohnehin nicht vor Tagesanbruch tätig werden.
    »Hast du Lust, etwas zu unternehmen?«
    Die Vorstellung lief bereits seit zehn Minuten, als sie in dem kleinen Pakxe Cinema ankamen. Die beiden strahlten vor Freude. Das Odeon, das einzige Filmtheater in Vientiane, war für politische Schulungen requiriert und zweckentfremdet worden. Die Schließung hatte Siri und Civilai das Herz gebrochen. Wieder raubte man ihnen ein Stück Kultur und damit die Luft zum Atmen. Die alten Knaben waren filmverrückt oder, besser, -süchtig. Auf den Geschmack gekommen waren sie in den verrauchten Kinosälen von Paris. In Hanoi und in den Höhlen Houaphans hatten sie keine Vorführung ausgelassen, ganz gleich, wie schauderhaft der Film zu werden drohte. Die beiden waren vermutlich die einzigen Zuschauer, die Kassenschlagern wie Abwasserentsorgung im südlichen Yunnan und Vom dreifachen Nutzen der Waffenpflege etwas hatten abgewinnen können. Nach einer Aufführung von Die öffentliche Demütigung eines des Lesens und Schreibens unkundigen Ziegenhirten waren sie tränenüberströmt aus dem Kino gekommen. Welcher Film lief, spielte keine Rolle. Was sie liebten, war die Atmosphäre, das willkürliche Zusammentreffen wildfremder Menschen, die gemeinsam fühlten, lachten, weinten und sich quasi im Kollektiv bewegen ließen, wie Fahrgäste auf einem Jahrmarktkarussell. Er fehlte ihnen, dieser

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