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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Instant-Kommunismus.
    Während sie ihre hundert Kip hinblätterten, drang immer wieder brüllendes Gelächter aus dem Kinosaal. Die Kassiererin schickte sie durch eine schwere, schwarze Tür und riet ihnen zu warten, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Sie könnten sich ihre Plätze aussuchen. Es sei nicht allzu voll. Einen Kinobesuch konnten sich nur die wenigsten Laoten leisten. Hundert Kip waren fast vierzig amerikanische Cent, und dieses Geld wurde an anderer Stelle dringender benötigt.
    Sie taten wie geheißen, traten durch die Tür und blieben hinter dem dicken Vorhang stehen, bis sie leere von besetzten Plätzen unterscheiden konnten. Sie machten es sich auf zwei Stühlen in der Nähe des Ausgangs bequem und starrten mit großen Augen auf die Leinwand. Der Anblick war überwältigend. Ein Chinese mit nacktem Oberkörper – Bruce Lee, wie sie dem Plakat entnommen hatten – bot einem Kreis finster dreinblickender Gesellen tapfer die Stirn. Der Film lief ohne Ton. Vor der Leinwand saßen drei Künstler, deren Umrisse sich erst nach und nach gegen die Dunkelheit abzeichneten. Einer von ihnen, ein Mann, war von Musikinstrumenten umringt. Er wurde von einem Scheinwerfer angestrahlt, der seinen Kopf mit einem matten Glorienschein umgab. Die anderen beiden waren Schauspieler, ihren Silhouetten nach zu urteilen ein Mann und eine Frau. Sie hatten lediglich winzige Leselampen vor sich stehen, die ihr Manuskript erhellten. Sie waren die Filmdolmetscher.
    Bruce wandte den Kopf und starrte dem Anführer der Gangster in die Augen.
    »Ihr scheint die Demokratische Volksrepublik Laos zu unterschätzen«, sagte er mit hoher Stimme. Seine Lippenbewegungen waren weitaus sparsamer als sein Text. Das Publikum kicherte. Siri packte seinen Freund am Arm.
    »Ha«, sagte der Schurke mit tiefer Männerstimme. »Wir repräsentieren den unterdrückerischen Westen. Und wir werden stets obsiegen über Dorfbauern und kleine Fische, wie auch du einer bist.«
    »Ihr seid Usurpatoren der landwirtschaftlichen Produktion«, sagte Bruce. »Ich werde euch eine Lektion erteilen.« Begleitet von Zimbeln und einer Art Kazoo machte er sich daran, die Angreifer nach Strich und Faden zu vermöbeln, wobei es ihm zum Vorteil gereichte, dass sie einer nach dem anderen auf ihn losgingen und nicht alle auf einmal.
    Bald standen nur noch Bruce und der böse asiatische Schoßhund der kolonialistischen Unterdrückung. Die Augenbrauen des Letzteren verrieten, dass er ohne seine Horde handverlesener Schläger ziemlich hilflos war, genau wie das royalistische Regime ohne seine amerikanischen Lakaien, hinter denen es sich verstecken konnte. Bruce, die fleischgewordene Demokratische Volksrepublik Laos, ließ seinen blutbefleckten Bizeps spielen.
    »Jetzt sind nur noch wir beide übrig«, schleuderte er seinem unterdrückerischen Widersacher hochmütig entgegen. »Ich, der Vertreter der ehrlichen Leute vom Lande. Du, ein niederträchtiger Kapitalist, der den Boden unter unseren Füßen bedenkenlos an die ausländischen Teufel verscherbeln würde.«
    Die Lippen der beiden Kontrahenten hatten sich bei diesem Wortwechsel nicht bewegt. Siri und Civilai schüttelten sich vor Lachen, und Tränen rollten ihnen über die Wangen. Aber es kam noch besser. Die Zuschauer schnappten hörbar nach Luft, als der Kapitalist, der den Boden unter ihren Füßen bedenkenlos verscherbelt hätte, mit einem Rückwärtssalto auf ein Dach sprang und rief: »Wir, die willenlosen Sklaven der westlichen Geldkultur, werden ewig siegen, du gemeiner Kuli.«
    Bruce war am Boden zerstört: Wieder einmal war die Arbeiterklasse ein Opfer der reichen Müßiggänger geworden. Da plötzlich rief eine Frauenstimme aus dem Off: »Die Republik Laos liebt dich, Somchit, denn du beschützt uns vor den ausländischen Aggressoren. Unsere Zeit wird kommen.«
    Das Publikum jubelte, und Siri und Civilai klatschten in die Hände. Vor lauter Lachen bekamen sie kaum Luft.
    »Das«, japste Siri schließlich, »nenne ich gute Unterhaltung.«
    Zehn Reihen hinter ihnen saß der einzige Mann im Saal, den die Vorführung vollkommen kaltließ. Der glattknochige Passagier des Jak-Fluges hielt den Blick fest auf den Rücken seiner Zielpersonen gerichtet. Der Knauf einer chinesischen Type-77-Pistole ragte aus seinem Hosenbund.

8
DIE 220-VOLT-BADEWANNE
    Nach einem enttäuschenden Hotelfrühstück, bestehend aus vietnamesischer Linsensuppe und altbackenem Baguette, traten Siri und Civilai hinaus in einen

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