Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
Royalisten in Pakxe verschanzt, während die Pathet Lao und die Viet Minh die umliegenden Dörfer kontrollierten. An Pakxe hatte sich noch jede Partei die Finger verbrannt. Ein Polizeibeamter, der aus dem Norden hierher versetzt wurde, hatte sich bei seinen Vorgesetzten entweder äußerst unbeliebt gemacht oder sich als unfähig für jede andere Tätigkeit erwiesen.
    Tao kam aus seinem Büro. Er trug eine viel zu kleine Mütze und eine viel zu große Lederjacke. Anscheinend hatte er bislang nicht bemerkt, wie heiß und schwül es draußen war. Er schlug Siri im Vorbeigehen auf den Rücken.
    »Kommen Sie, alter Knabe«, sagte er. »Wo ist Ihr Auto?«
    »Welches Auto?«
    Tao blieb stehen, drehte sich um und zog ein grimmiges Gesicht. »Haben Sie denn keinen Dienstwagen? Ich dachte, Sie kommen von der Regierung.«
    »Ich bin nur ein kleiner Beamter, genau wie Sie.«
    »Na schön. Dann nehmen wir eben mein Motorrad, aber das Benzin geht auf Sie.«
    Er marschierte durch die riesige Öffnung in der Gebäudefassade und trat in den staubigen Vormittag hinaus. Erst als er bei seinem Motorrad ankam, bemerkte er, dass der Heini aus Vientiane ihm nicht gefolgt war. Siri stützte sich lächelnd auf den Tresen.
    »Na los«, rief der dicke Polizist. »Kommen Sie. Die warten schon auf uns. Sind Sie ein Krüppel, oder was?«
    Siri zog ein Fläschchen Anispastillen aus seiner Brusttasche und schraubte seelenruhig den Deckel ab. Tao kam wieder herein. Sein Gesicht glänzte schon jetzt vor Schweiß. »Was soll der Quatsch?«
    »Wie war noch gleich der Name? Tao?«, sagte Siri und bot ihm eine Pastille an, die der Polizist ablehnte.
    »Ja, und?«
    »Nun, Tao. Sie denken wahrscheinlich, Sie seien an den schlimmsten Ort auf Erden versetzt worden. Stimmt’s?«
    »Für solchen Unsinn habe ich keine Zeit. Was wollen Sie damit sagen?«
    »Damit will ich sagen, dass dies keineswegs der schlimmste Ort auf Erden ist. Selbst in unserem unschönen Laos gibt es weitaus schlimmere Orte als diesen. Elende Dreckslöcher, gegen die Pakxe das reinste Paradies ist. Und zufällig weiß ich nicht nur, wo diese Orte liegen, sondern kann auch dafür sorgen, dass jemand wie Sie ohne große Umstände dorthin versetzt wird.«
    »Ich verstehe nicht …«
    »Dann will ich es Ihnen gern erklären, Wachtmeister Tao. Ich werde die nächsten Tage hier verbringen. Und solange ich in der Stadt bin, werden Sie mich gefälligst mit ›Doktor‹ oder ›Genosse‹ anreden. Denn ich trage zwar keine Uniform, stehe im Rang jedoch etwa zwanzig Mal höher als Sie. Falls nötig, werden Sie mich auf Ihrem schrottreifen Motorrad durch die Gegend chauffieren, und zwar ohne Erpressungsversuche, denn erstens ist das Ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit, und zweitens ist in Ihrem Etat dafür ein Posten vorgesehen. Wenn Sie mir den nötigen Respekt erweisen, werden Sie rasch feststellen, dass ich Ihnen von großem Nutzen sein kann, Wachtmeister Tao. Haben wir uns verstanden?«
    Tao blickte Siri über die Schulter, um zu sehen, ob der Diensthabende den Rüffel mitbekommen hatte, aber sie waren allein. Er schien über das Angebot nachzudenken, dabei lag die Entscheidung eigentlich auf der Hand.
    »In Ordnung.«
    »In Ordnung …?«
    »… Doktor?«
    »Sehr schön. Wollen wir?«
    Jetzt, wo die Rollen verteilt waren, erwies Wachtmeister Tao sich als äußerst kregles Kerlchen. Auf ihrer Fahrt quer durch die Stadt schwatzte er munter vor sich hin und versicherte, er werde alles tun, um Siri seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Nach kaum zehn Minuten hielten sie vor dem Haus des stellvertretenden Gouverneurs hinter dem Stadion. Ein Land Rover stand am Straßenrand, und ein dicker Mann im Safarianzug hockte im Schneidersitz auf der Veranda.
    »Welch seltene Ehre«, sagte Tao. »Der Gouverneur heißt Sie persönlich willkommen.«
    Sie parkten neben einem Zitronengeisterbaum, und Tao nahm ehrfurchtsvoll die Mütze ab. »Gouverneur Genosse Katay, das ist Dr. Siri vom Justizministerium.«
    Hätte er nicht gewusst, dass dies der Gouverneur war, hätte Siri die nervös wirkende Gestalt für einen Hausmeister gehalten. Als er aufstand, wirkte der Mann eher wie eine mit zerknülltem Zeitungspapier ausgestopfte Puppe als wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Lächelnd ergriff Siri die Hand, die der Gouverneur ihm hinstreckte. Sein Händedruck war ebenso kraftlos wie seine Stimme.
    »Tatsächlich, Sie sind es«, sagte er. »Hab’ ich’s mir doch gedacht. Sie erinnern sich wohl

Weitere Kostenlose Bücher