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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Verdächtigen eingrenzen ließe.«
    »Ich bin für jede Hilfe dankbar«, sagte Tao.
    »Meinen Sie, es wäre möglich, den Griff des Tauchsieders auf Fingerabdrücke zu untersuchen, um festzustellen, wer ihn zuletzt berührt hat? Denn das ist mit ziemlicher Sicherheit derjenige, der den Tauchsieder ins Wasser gehängt hat.«
    »Ausgezeichnete Idee«, sagte Tao. »Und wie macht man das?«
    »Wie man das macht? Hat man Ihnen auf der Polizeischule etwa nicht beigebracht, wie man Fingerabdrücke nimmt?«
    Tao lachte schnaubend durch die Nase. »Dr. Siri. Ich bin nur ein Soldat in einer anderen Uniform. Für meine Vorgesetzten sind Militär und Polizei ein und dasselbe. Alle echten – sprich ausgebildeten – Polizisten haben sich entweder über die Grenze davongemacht oder werden von Ihren Freunden im Norden mit Seminaren zwangsbeglückt. Wir haben alle Mühe, auch nur den Frieden zu bewahren. Von echter Ermittlungsarbeit sind wir Lichtjahre entfernt. Tut mir leid, Herr Gouverneur, aber das ist die Wahrheit.«
    Katay schüttelte den Kopf. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Tao. Die Zeiten sind schlecht.« Er drückte Siris Arm. »Können Sie denn gar nichts tun, Doktor?«
    Siri war hin und her gerissen. Einerseits beklagte er den Mangel an Sachverstand in seinem Land und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, der Jugend auch nur die grundlegendsten Kenntnisse beizubringen. Andererseits: Wo sonst hätte ein dreiundsiebzig Jahre alter Amateur wie er wohl so häufig Detektiv spielen dürfen? Er hatte noch einen Maigret-Fall in petto. Der unerschrockene französische Kriminalbeamte auf Urlaub in einer abgelegenen Provinzstadt. In einer kleinen Kunstgalerie wird eingebrochen. Da es weit und breit kein Labor gibt, muss der Inspektor sich mit einfachsten Chemikalien behelfen, um einen ausrangierten Bilderrahmen auf Fingerabdrücke zu untersuchen: ein unscheinbares graues Pulver aus Magnesium und Kreide.
    Auf diese Weise wollte auch Siri die Identität von Genosse Says Mörder feststellen. Während sich der Fahrer des Gouverneurs auf die Suche nach Magnesium machte, hievten Siri und der sichtlich angewiderte Wachtmeister Tao den Toten aus der Badewanne und nahmen mit Hilfe eines Streifens Kohlepapier einen Abdruck seines rechten Zeigefingers. Nun brauchten sie ihn nur noch mit den Abdrücken auf dem Griff des Tauchsieders zu vergleichen, um herauszufinden, ob Say Selbstmord begangen hatte. Wenn nicht, mussten sie mit der Ermittlungsarbeit beginnen, die sich zu ihrem großen Verdruss vornehmlich darin erschöpfen würde, allen Personen, die das Haus des stellvertretenden Gouverneurs in der fraglichen Nacht theoretisch hätten betreten können, die Fingerabdrücke abzunehmen. Doch der Gott des überflüssigen Papierkrams hatte ein Einsehen. Noch während sie auf das Pulver warteten, löste sich der Fall von selbst.
    Wachtmeister Tao hatte die Frau des stellvertretenden Gouverneurs bei ihrer Mutter aufgesucht, um die Adressen ihrer Dienstboten und engen Freunde in Erfahrung zu bringen. Sie war eine einfache Frau. Wie so viele neu- und einflussreiche Laoten war auch Say über die Dörfer gezogen und hatte sich eine hübsche, aber ungebildete Braut gesucht, die zu seinem neuen Lebensstil passte. Tao erzählte ihr von der fantastischen Fingerabdruckmethode, die es ihnen ermöglichte, die Identität des Mörders festzustellen, ohne die Verdächtigen zu foltern. Zu seiner Verblüffung brach die Frau daraufhin in Tränen aus und sank auf die Knie.
    »Ich war’s. Ich war’s«, schluchzte sie. »Ich hatte ja keine Ahnung. ›Bring mir mehr heißes Wasser‹, rief er. Und da lag er, rot, rund und aufgedunsen von den Vergnügungen der Sowjets: dem Wodka, dem vielen Essen und wahrscheinlich auch den grobknochigen Weibern. ›Bring mir mehr heißes Wasser.‹ Wozu, um alles in der Welt, brauchte er ein heißes Bad? Um diese Jahreszeit ist die Luft so feucht, dass man sich bloß hinzustellen braucht, und schon ist man klatschnass. Er wollte ja nur mit dem Tauchsieder angeben, den er geschenkt bekommen hatte. Da dachte ich, wozu ist das Ding eigentlich gut, wenn ich trotzdem kübelweise Wasser durch die Küche schleppen muss? Also nahm ich den Tauchsieder aus dem Eimer, hängte ihn über den Wannenrand und versenkte ihn im Wasser.«
    Vor lauter Schluchzen brachte sie minutenlang kein Wort heraus. Tao stand peinlich berührt vor ihr.
    »Wie hätte ich denn wissen sollen, dass es ihn das Leben kostet?«, fuhr sie fort. »Ich

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