Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
Rebellion wurde neu entfacht. Sie waren Draufgänger, die mit Jagdflinten gegen Haubitzen und Panzerfahrzeuge angetreten waren und es dennoch geschafft hatten, am Leben zu bleiben. Am Vorabend der Konferenz sollte ein rauschendes Fest stattfinden. Gutes Essen, Alkohol in Strömen, weiche Betten und die wiedererstarkte Hoffnung auf ein freies Laos.
Noch am Morgen war die Stimmung gut und herzlich gewesen, obwohl nur die führenden Lao-Issara-Offiziere an der Eröffnungsfeier teilnehmen durften. Siri, seines Zeichens Generalmajor im Sanitätskorps der Bewegung Freies Laos, saß in der viertletzten Reihe. Seine Generäle und Berater hatten in der Reihe vor ihm Platz genommen. Von den Leuten auf dem Podium kannten sie nur den Roten Prinzen, einen abtrünnigen Spross der Königsfamilie, der einst der Lao Issara angehört hatte. Die anderen Männer am Tisch blieben namenlos und verzogen keine Miene. Der Veteran neben Siri drehte sich zu ihm um und fragte: »Wer sind denn die komischen Gestalten auf der Bühne?«
Siri schüttelte den Kopf. Er hatte keine Ahnung. »Viet Minh? Hochrangige Vietnamesen?«
Doch wie sich herausstellte, waren die mysteriösen Männer an dem erhöhten Tisch Laoten. Einer von ihnen war Civilai. Sie hatten die Konferenz organisiert. Sie nannten sich die Laotische Patriotische Front und verkündeten den versammelten Kämpfern feierlich die Gründung der Laotischen Widerstandsbewegung. Vom Adrenalinrausch des Vorabends beflügelt, brachen Siri und seine Kollegen in lauten Jubel aus und harrten freudig der Abstimmung, die dem Bündnis ein starkes Führungsgremium aus wahren Patrioten bescheren würde. Es war ein großer Tag für ihr Vaterland.
Doch zu einer Abstimmung kam es nicht. Die Männer auf dem Podium erklärten, man habe im Norden Vietnams mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung der Viet Minh eine schlagkräftige Truppe laotischer Widerstandskämpfer ausgebildet. Dank der fruchtbaren Zusammenarbeit ihrer beiden ruhmreichen Länder werde es zweifellos gelingen, die gallischen Besatzer aus Indochina zu vertreiben. Dann verlasen sie die Namen der Männer, die das Zentralkomitee dieser großartigen Allianz bilden sollten, und es stand kein einziger Lao-Issara-Name auf der Liste. Kein einziger. Kein einziger . Siri verschlug so leicht nichts die Sprache. Jetzt aber schaute er fassungslos in die Gesichter seiner Kollegen und sah überall nur offene Münder. Die laotische Widerstandsbewegung, die neun lange Jahre ohne fremde Hilfe für die Befreiung ihres Vaterlandes gekämpft hatte, war ausgebootet worden.
Das war er. Der Moment, in dem sämtliche Frauen und Männer der Bewegung Freies Laos aufspringen und wütend hätten protestieren müssen. Eigentlich hätte es einen solchen Aufruhr geben müssen, dass den hohen Herren vorn auf dem Podium gar nichts anderes übrig geblieben wäre, als ihren Einwänden Gehör zu schenken. Aber das war weder unter Buddhisten noch unter Kommunisten üblich. Und so versammelten sich die Lao Issara an der Rückseite des Saales, brüteten still vor sich hin und meditierten. »Vielleicht ist diese mächtige Allianz ja gar keine so schlechte Idee. Vielleicht steht es uns gar nicht zu, ein Wörtchen mitzureden. Schließlich ist unser jahrelanger Kampf erfolglos geblieben. Vielleicht ist es schlicht und einfach unser Schicksal.«
So führte der buddhistische Fatalismus zur endgültigen Auflösung der ohnehin bröckelnden Lao Issara. Der Bund, der den beiden Ländern dereinst den Weg zum Sozialismus ebnen sollte, war geschlossen, der Zweck heiligte die Mittel. Die wenigen Widerstandskämpfer, die nicht die Waffen streckten und nach Thailand flohen, gingen in der riesigen Guerillaarmee auf. Siri, der unter seinem weißen Kittel nun eine andere Uniform trug, büffelte fleißig Vietnamesisch, während seine Frau ihrer Leidenschaft für den Kommunismus frönte.
»Haben Sie dir auch alle Fische aus dem Bauch geholt?« Die Stimme seines besten Freundes riss Siri aus seinen Erinnerungen. »Du siehst so niedergeschlagen aus.«
»Du kommst gerade recht. Ich habe an die alten Zeiten gedacht.«
»Und das auf deine alten Tage. Es heißt, wer in der Vergangenheit lebt, hat nicht mehr lange zu leben.« Civilai setzte sich auf den Stuhl, den Dr. Somdy geräumt hatte.
»Aha, sind wir wieder obenauf, der Herr? Woher die gute Laune?«
»Es gibt Neuigkeiten von der Front.«
»Lass hören.«
»Dtui und Phosy sind heil im Lager angekommen. Dort sind sie vorerst sicher.
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