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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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verschwand. Die ganze Prozedur hatte sechzehn Minuten gedauert. Die Rückführung der Stühle würde zwei Stunden in Anspruch nehmen.
    Es gelang Siri, den jungen Mann abzufangen, bevor der auf sein Moped steigen und davonknattern konnte. Er hielt ihm ein Schreiben hin, das er während der Zeremonie aufgesetzt hatte, doch der Beamte wollte es partout nicht annehmen.
    »Junger Mann«, sagte Siri, »wenn mich nicht alles täuscht, gibt es im Rathaus einen vietnamesischen Berater.«
    »Was geht Sie das an?«, fragte der Beamte.
    »Ich möchte Sie bitten, ihm diesen Brief zu übergeben.«
    »Sehe ich aus wie ein Postbote?«
    »Nein, Sie sehen aus wie ein Bürogehilfe, der tut, was man ihm sagt. Also werden Sie gefälligst nicht frech. Ich bin mit Gouverneur Katay persönlich befreundet.«
    Sofort trat der Kader den geordneten Rückzug an.
    »Wenn Sie mit ihm befreundet sind, warum geben Sie ihm den Brief dann nicht selbst?«
    »Was mischen sie euch eigentlich ins Essen, dass ihr jungen Leute heutzutage alle so misstrauisch seid? Die Sache ist die: Der Gouverneur und ich haben gestern gemeinsam zu Abend gegessen. Der vietnamesische Berater benötigt einige dringende Informationen, und da ich Vietnamesisch spreche, hat der Gouverneur mich gebeten, sie ihm aufzuschreiben. Sehen Sie? Vietnamesische Schrift. Weiter nichts. Halten Sie ihn sich ruhig ans Ohr. Da drin tickt nichts. Der Gouverneur wird sich gewiss dankbar erweisen.«
    Der junge Mann nahm den versiegelten Umschlag mit den fremden Schriftzeichen darauf zögernd an sich. Siri hatte neuerdings jede Menge Briefumschläge in diversen Größen und Formaten in seiner Umhängetasche. »Und …«
    »Sagen Sie ihm, der Brief kommt vom führenden Parteigenossen Dr. Siri.«
    »Sie sind Arzt?« Er blickte um sich.
    »Ich mache einen Hausbesuch. Und jetzt los. Ich rufe den Gouverneur heute Abend an und frage nach, ob Ihr vietnamesischer Berater die Nachricht erhalten hat, also machen Sie mir keine Schande.«
    »Jawohl, Doktor.«
    Siri erzählte Sings Mutter von dem Flussdelfin und, wenn auch in etwas verkürzter Form, von seiner spirituellen Verbindung ins Jenseits. Die Frau ergriff seine Hand und dankte ihm. Für eine trauernde Mutter gibt es kein größeres Geschenk als die Gewissheit, dass die Seele ihres Kindes in Frieden ruht. Sie sagte, er habe so viel für sie getan, dass sie nicht wisse, wie sie ihm das je vergelten solle. Im Mekong gebe es gar nicht genug Fische. Siri konnte sie beruhigen: Er werde weiter ermitteln und erwarte dafür keinen Lohn.
    »In diesem Fall«, sagte die Mutter, »machen Sie uns hoffentlich die Freude, heute Abend an der Hochzeitsfeier der Nachbarn teilzunehmen.«
    Siri schaute verdutzt drein. »Haben Sie denn noch einen Nachbarn, der heute heiratet?«
    »Nein, nein. Nur den einen. Aber Sie werden das, was wir eben über uns haben ergehen lassen, doch nicht ernsthaft als Feier bezeichnen, oder?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Aber ich. Das war doch nur der Regierung zuliebe. Ohne ihre Reden und ihre Formulare fehlt denen etwas. Dabei wissen wir alle, dass die Kinder deshalb noch lange nicht verheiratet sind. Eine Unterschrift auf einem Stück Papier bindet einen doch nicht an einen anderen Menschen. Die richtige Feier findet erst heute Abend statt. Und es wäre uns eine Ehre, wenn Sie kommen könnten.«
    »In diesem Fall«, beschloss Siri, »nehme ich die Einladung mit dem größten Vergnügen an.«
    Ihre abendliche Einsatzbesprechung gab erstmals Anlass zur Hoffnung. Civilai verfügte inzwischen über einen harten Kern von drei Staatsministern, die sich als so vertrauenswürdig erwiesen hatten, dass man sie bedenkenlos in die konterrevolutionären Pläne einweihen konnte. Es handelte sich um einflussreiche Männer, die eine diskrete Untersuchung unerlaubter Truppenbewegungen und außerplanmäßiger Zusammenkünfte hochrangiger Armeeoffiziere in die Wege zu leiten versprachen.
    Die Initialen PP, die im Brief des Zahnarztes auftauchten, schienen dem Rädelsführer zu gehören. Doch da dieselben Kürzel auf unzählige laotische Namen passten, war die Liste der Verdächtigen schier endlos. Sie reichte von ehemals royalistischen laotischen Politikern über inhaftierte Dissidenten und Hmong-Kämpfer bis hin zu früheren und jetzigen Militärführern. Sie hatten ein oder zwei Favoriten, aber es würde noch mindestens eine Woche dauern, bis Civilais Sekretärin die potenziellen Putschisten identifiziert hatte und sich daranmachen konnte, Tote, Sterbende und

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