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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Jahren kein Foto mehr von ihr gesehen.«
    »Du hast sie geliebt. Das war nicht zu übersehen.«
    »Ich liebe sie noch immer.«
    Daeng schaute in seine grünen Augen und lächelte. »Da sind noch mehr Bilder von euch beiden drin.«
    Siri betrachtete die Fotos eines nach dem anderen. Er kannte sämtliche jungen Leute mit Namen und konnte sich genau erinnern, was sie an fraglichem Tag unternommen hatten. Doch als er sie sich so ansah, stach ihm etwas ins Auge, und zwar so deutlich, als stünde es in Riesenlettern über jedem Bild: Begeisterung. Die Kinder starrten ihre Lehrer an wie Heilige. Sie nahmen alles begierig in sich auf. Und das waren keine gestellten Propagandafotos der PL . Diese Bilder waren echt. Die Jungen und Mädchen platzten förmlich vor Nationalstolz. Ihr Anblick machte ihm klar, weshalb er gezögert hatte, Civilai zu verurteilen.
    »Sie sehen aus, als würden sie sich bei uns wohlfühlen«, sagte er.
    »Kein Wunder. Zwei bedeutende Lehrer, die in Frankreich studiert hatten, noch dazu ein approbierter Arzt und eine Krankenschwester. Ihr hättet anderswo einen Haufen Geld verdienen können, stattdessen habt ihr zwei volle Jahre geopfert, um mit armen Kindern zu arbeiten. Wie viel haben sie euch eigentlich dafür bezahlt? Zwei Francs im Monat?«
    »Plus fünfzig Centimes Weihnachtsgeld.« Sie lachten.
    »Natürlich haben sie sich bei euch wohlgefühlt«, sagte Daeng. »Sie haben euch angebetet. Für uns wart ihr Helden. Wir haben euch geliebt.«
    Und noch etwas war Siri an den Schwarz-Weiß-Bildern aufgefallen. Die attraktive Köchin, die den Unterricht besuchte und bei Versammlungen aushalf. Nein, nicht attraktiv – schön. Damals hatte er sie kaum wahrgenommen. Jedenfalls hatte er nicht bemerkt, wie begehrenswert sie war. Ein alter laotischer Dichter hatte einmal geschrieben, die Liebe sei ein spitzer Speer, der einem Mann die Augen aussticht. Genau so schien es ihm mit Boua ergangen zu sein. Er hatte sich nie für andere Frauen interessiert, nie auch nur einen Gedanken an sie verschwendet. Er hatte Daengs bewundernde Blicke, ihre ständige Gegenwart schlicht übersehen. Bis jetzt.
    »Du warst aber auch nicht hässlich«, sagte er.
    »Endlich, ein Kompliment. Das lange Warten hat sich gelohnt.«
    Wieder lachten sie, und Siri klappte das Album zu und ließ die Hände auf dem Deckel ruhen.
    »Das war wunderbar, einfach wunderbar«, sagte er. »Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mich danach gesehnt habe. Na ja, vielleicht doch. Jedenfalls vielen Dank, dass ich mir das ansehen durfte.«
    »Ich habe dir die Fotos nicht mitgebracht, um sie dir zu zeigen«, sagte sie. »Sie sind ein Geschenk.«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Ich kann unmöglich von dir verlangen, dich von dieser Kostbarkeit zu trennen.«
    »Siri, ich glaube, im Laufe der letzten beiden Wochen hast du an dir selbst gezweifelt. Sollte das noch einmal vorkommen, brauchst du dir in Zukunft nur die Gesichter deiner Schüler anzusehen.«
    Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange, und diesmal wich sie nicht zurück.

22
DTUI NIMMT ZU
    Es war September. In der Demokratischen Volksrepublik Laos war viel passiert, aber geändert hatte sich nichts. Was nicht zuletzt daran lag, dass etwas nur dann eine Nachricht wert ist, wenn es konkrete Folgen hat. Die Schlagzeile KEINE TOTEN BEI ERDBEBEN wird man in einer staatlichen Zeitung jedenfalls vergeblich suchen. Und so schaffte es auch der fehlgeschlagene Putsch nicht auf die Titelseite. Die Partei beschloss, die Sache für sich zu behalten und die Bevölkerung nicht damit zu behelligen. Die Leute hatten schon genug Probleme. Folglich erwähnte die Pasason Lao mit keiner Silbe, dass ein früherer Minister verhaftet und ins Umerziehungslager gesteckt und ein oder zwei Generäle auf nicht existente Posten versetzt worden waren. Die Presse- und Propagandastelle der laotischen Regierung hätte es vermutlich sogar fertiggebracht, den Zweiten Weltkrieg zu einem unbedeutenden Scharmützel zu erklären.
    Dem gesundheitsbedingten Rücktritt eines altgedienten Politbüromitglieds hingegen wurde gleich eine ganze Seite eingeräumt. Der Artikel rühmte Civilai Songsawats glanzvolle Karriere und sein langjähriges Engagement im treuen Dienste der Partei. Auf dem dazugehörigen Foto schien er voller Schwung und Elan. Es war dreißig Jahre alt. Da die Pasason Lao nicht allzu viele Leser hatte, blieb Civilais Abgang, ebenso wie der Putschversuch im August, so unbemerkt wie Glühwürmchen in der Mittagssonne.
    In

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