Briefe aus dem Gefaengnis
verständlichen Gesetzen und unabhängigen Gerichten, die diesen Gesetzen Leben einhauchen und ihnen nicht einen Platz im verstaubten Regal zuweisen würden wie es einst mit der Verfassung des Jahres 1937 geschah.
Wo sind diese Koroljows und Sacharows heute? Emigriert? Auf dem Sprung in die Emigration? In der inneren Emigration? Haben sie sich unter die grauen Bürokraten gemischt, um nicht wieder unter die Dampfwalze des »Systems« zu geraten?
Wir, die Bürger Russlands und Patrioten des ganzen Landes, können und müssen das ändern.
Wie soll Moskau zu einem Finanzzentrum Eurasiens werden können, wenn unsere Staatsanwälte in einem öffentlichen Prozess unumwunden und unmissverständlich wie vor zwanzig und fünfzig Jahren dazu aufrufen, das Streben nach Vergrößerung der Produktion und Kapitalisierung eines Privatunternehmens als verbrecherisches Ziel anzuerkennen, das mit 14 Jahren Gefängnis zu ahnden ist?
Wenn der Konzern laut dem einen Urteil Steuern hinterzogen haben soll, obwohl er nach Gasprom der größte Steuerzahler im Land ist, es sich laut dem anderen Urteil aber gar nicht um einen besteuerungsfähigen Gegenstand gehandelt hat, sondern um gestohlenes Gut!
Ein Land, das sich damit abfindet, dass die Polizeibürokratie
im eigenen und keineswegs im Interesse des Landes Zehn-, wenn nicht Hunderttausende talentierter Unternehmer, Führungskräfte und einfacher Bürger statt und zusammen mit Verbrechern in Gefängnissen hält, ist ein krankes Land.
Ein Staat, der seine besten Konzerne zerschlägt, die auf dem Weg sind, in die Weltklasse aufzusteigen, ein Staat, der seine Bürger verachtet, der nur der Bürokratie und den Geheimdiensten vertraut, ist ein kranker Staat.
Die Hoffnung ist der Hauptantrieb für große Reformen und Änderungen, die Gewähr für deren Erfolg. Wenn sie erlischt, wenn sie von dumpfer Enttäuschung abgelöst wird, wer und was wird dann unser Russland aus einer neuen Stagnation herausführen können?
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Millionen Augen in unserem Land und auf der ganzen Welt verfolgen den Ausgang dieses Prozesses. Sie verfolgen ihn in der Hoffnung, dass Russland doch noch zu einem Land der Freiheit und des Gesetzes wird, in dem das Recht höher steht als ein Beamter.
In dem die Unterstützung oppositioneller Parteien aufhört, ein Anlass für Repressionen zu sein.
In dem die Sicherheitsdienste Volk und Gesetz schützen, nicht die Bürokratie vor Volk und Gesetz.
In dem die Menschenrechte nicht mehr von der Laune des Zaren abhängig sind. Sei es nun ein guter oder ein böser.
In dem im Gegenteil die Regierung wirklich von den Bürgern und das Gericht nur von Recht und Gott abhängig sein werden. Wenn Sie wollen, nennen Sie das Gewissen.
Ich glaube, dass das kommen wird.
Ich bin keineswegs ein idealer Mensch, aber ich bin ein Mensch der Ideen. Wie jedem fällt es mir schwer, im Gefängnis zu leben, und ich will nicht darin sterben.
Aber wenn es sein muss, werde ich nicht schwanken. Meine Überzeugung ist mir mein Leben wert. Ich meine, das bewiesen zu haben.
Und die Ihre, meine Herren Opponenten? An was glauben Sie? An das Recht der Obrigkeit? An das Geld? Daran, dass das »System« straflos ausgeht?
Euer Ehren!
In Ihren Händen liegt sehr viel mehr als nur zwei Schicksale. Hier und jetzt wird über das Schicksal eines jeden Bürgers unseres Landes entschieden. Über das Schicksal derjenigen in Moskau und Tschita, Petersburg und Tomsk und in anderen Städten und Dörfern, die darauf zählen, nicht ein Opfer der Gesetzlosigkeit der Miliz zu werden, derjenigen, die ein eigenes Geschäft gegründet, ein Haus gebaut, Erfolg gehabt haben und möchten, dass dies ihren Kindern und nicht Plünderern in Uniform zugutekommt, und schließlich derjenigen, die ehrlich für ein gerechtes Gehalt ihre Pflicht tun wollen, ohne jede Minute befürchten zu müssen, unter einem beliebigen Vorwand von einer korrumpierten Obrigkeit entlassen zu werden.
Es geht nicht um Lebedew und mich, jedenfalls nicht nur. Es geht um die Hoffnung vieler unserer Mitbürger. Um die Hoffnung, dass das Gericht morgen ihre Rechte wird verteidigen können, sollte es irgendwelchen Bürokraten wieder in den Sinn kommen, diese Rechte dreist und demonstrativ zu verletzen.
Ich weiß, dass es Menschen gibt – ich habe ihre Namen während des Prozesses genannt –, die uns weiter im Gefängnis
sehen wollen. Für immer! Sie verheimlichen das im Grunde genommen auch nicht, indem sie öffentlich
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