Briefe in die chinesische Vergangenheit
glaube, es handelt sich bei ihr um ein Weib; da ich sie aber nicht mit Schirm gesehen habe, bin ich allerdings nicht sicher.) Wie immer mußte mir Herr Shi-shmi helfen, meinen An-tsu anzuziehen, denn ich verwechsle doch noch die Reihenfolge der einzelnen Bestandteile. Einmal, als ich versuchte, mich allein anzuziehen, zog ich das »Hem-hem« über der Mitteljacke und die schwarzen, dehnbaren Fußschläuche über den verschnürbaren Lederkästchen an. Als Herr Shi-shmi mich so sah, hielt er sich vor Lachen den Bauch. Nun, ich muß eben alles lernen wie ein Kind.
Ich zog also heute vormittags unter Herrn Shi-shmis Aufsicht meinen An-tsu an, nahm meinen Schirm, denn ich habe auch schon einen, schwarz, logischerweise, und verließ das Haus. Den Laden und das Haus, in dem er ist, kannte ich schon, denn wir kommen immer dort vorbei, wenn wir zum Kontaktpunkt gehen. Ich mußte nur eine einzige Stein-Straße überqueren. Ich wartete am Rand der Straße, spähte und lauschte, bis ich sicher war, daß wirklich keins der verfluchten A-tao käme, dann rannte ich los. So kam ich glücklich drüben an, ging in den Laden und sagte mein Sprüchlein, das Herr Shi-shmi mir eingetrichtert hatte. Auf chinesisch bedeutete das Sprüchlein: »Einen halben sheng Öl, bitte.« (»Li-ti« heißt ein halber sheng). Die Formulierung ist doch außerordentlich knapp (fast wie Deine Briefe) und unhöflich. Du und ich hätten natürlich in dem Laden gesagt: »Würdest du, unvergleichliche Ladenbesitzerin, Sonne des Stadtviertels, die Güte haben, einen halben sheng deines honigduftenden Öls mir unwürdigem Zwerg herabzureichen, sofern du nicht eine andere, bessere Verwendung dafür hast, und das Maß deiner Güte vollmachen, indem du diese bescheidene, schmutzige Münze dafür entgegennimmst, die natürlich nicht das entfernteste Äquivalent für deine unbezahlbare Ware ist, zumal ein so gänzlich unbedeutender Mann wie ich es wagt, diese kühne Bitte zu äußern.« Aber so einen Satz in der hiesigen Sprache hätte ich natürlich nicht behalten.
Ich brachte den mir eingetrichterten Satz recht gut heraus, die Person, die den Laden betreibt, gab mir auch tatsächlich einen halben sheng Öl, und ich legte die Münzen, die mir Herr Shi-shmi mitgegeben hatte, auf den Ladentisch. Ich war sehr stolz. Die Person im Laden starrte mich zwar an wie einen fremdartigen Käfer, aber das bin ich ja inzwischen gewohnt. Sie brüllte mir auch irgend etwas zu, was ich nicht verstand: wahrscheinlich einen Gruß. Ich verbeugte mich zu einem Siebtel. Als ich wieder heraustrat, kam die Person mit bis zur Ladentür und brüllte wieder etwas. Ich spannte meinen Schirm auf, deutete mit den Augen nach oben und sagte: »Shai-we-ta!« Es war ein glänzender Erfolg. Sie nickte und lachte. Offenbar hatte sie mich vollkommen verstanden.
Ich machte mich auf den Heimweg. Ich war sehr stolz auf meine Leistung und bewegte mich völlig frei und sicher unter all den Leuten auf der Fußgängerseitenstraße, fast als wäre ich einer von ihnen. Da plötzlich stieß ich einen Schrei aus und ließ fast meine Ölflasche fallen, denn ich sah das wohl absonderlichste Phänomen, das ich hier bisher zu Gesicht bekommen habe. Ich konnte es Herrn Shi-shmi nicht beschreiben – so komplizierte Dinge kann ich noch nicht ausdrücken –, weshalb ich nicht weiß, wie es heißt. Es scheint eine seltene, aber dennoch für die Leute hier nicht furchteinflößende Erscheinung zu sein. Es handelte sich um eine Person auf einem zweirädrigen Wagen. Die Räder waren aber nicht nebeneinander wie an einem Karren, sondern hintereinander angebracht. Auf dem hinteren Rad saß der Lenker, dennoch drehte es sich. Wie das genau war, konnte ich nicht erkennen. Nach menschlichem Ermessen hätte dieser Wagen oder Karren unverzüglich umfallen müssen, allein: er fiel nicht nur nicht um, er fuhr sogar, obwohl die Person auf dem Rad – ich bin geneigt, sie für einen Artisten zu halten – keineswegs stillsaß, sondern gefährlich strampelte. Der zweirädrige Wagen fuhr zwar längst nicht so schnell wie ein A-tao, aber schneller, als ein Mensch laufen kann. Ich schaute dem artistischen Gefährt lange nach. Dann kehrte ich in Herrn Shi-shmis Haus zurück. Er wartete unter der Tür, war also doch etwas besorgt um meine glückliche Rückkehr.
Aber nun fahre ich fort, Dir die weiteren Abenteuer meines zweiten Tages hier in dieser fremden Welt zu schildern.
Der freundliche und menschliche Mandarin und Richter ließ
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