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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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Durchmesser dieser unserer Stadt im Fahren mit dem Ta-mam-Wagen-Haus vielleicht siebenmal zurückgelegt haben und dann erst in die Mitte von Min-chen gelangt sind – nach allen anderen Richtungen geht es in ähnlicher Weise weiter, hat mir Herr Shi-shmi gesagt –, so wirst Du es nicht glauben, Du wirst nicht fassen können, daß es eine Stadt von solcher Größe gibt, aber es ist so. Unsere gewaltige Erhabene Kaiserstadt ist wie ein verträumtes, idyllisches Nest in sanfter Gegend gegen diese über alle Maßen gigantische … Stadt kann man nicht mehr sagen: übereinandergeschichtete Zusammenballung von ungeheuren großen Städten, eine Stadt aus Städten, eine tosende Kugel aus Stein und Eisen.
    Es geht kein Glanz von dieser Stadt aus. Wir meinen immer, daß eine große Stadt Glanz ausstrahlt, daß diejenigen, die in einer großen Stadt wohnen, in K’ai-feng, in Hang-chou, in Fu-tschou oder in Kuang-chou, etwas vom Glanz der großen Stadt aufnehmen und widerstrahlen, daß der Glanz und der Ruhm des Überaus Gnädigen und Himmlischen Herrschers durch eine große Stadt gemehrt wird und wiederum der kaiserliche Glanz auf die Stadt und ihre Menschen zurückfällt … nichts von alldem wird in der Zukunft sein. Je größer die Städte werden, desto schmutziger und grauer werden sie offenbar. Ich habe den Eindruck, daß die Leute hier ganz einfach den Überblick über ihre Städte-Stadt verloren haben, daß sie ihnen buchstäblich über den Kopf gewachsen ist. Dreck und Lärm haben den Leuten hier längst die Zügel aus der Hand genommen. Dreck und Lärm sind stärker als sie. Ich frage mich, ob es überhaupt noch so etwas wie eine Stadtverwaltung gibt. Wenn ja, so ist ihr die Führung wohl längst entglitten und jener Stadt-Mandarin sitzt wahrscheinlich nur in seinem Harem oder züchtet Hunde. Vielleicht ist das aber auch der Grund, warum es keinen Wang mehr gibt? Habe ich Herrn Shi-shmi falsch verstanden? Ist der Wang Lu-wing, der dritte des Namens, nicht abgesetzt worden, sondern hat er freiwillig dieses Inferno verlassen und hat sich in eine ruhigere Gegend zurückgezogen? Diese unregierbar gewordene Stein- und Eisenhölle sich selbst und ihrem endlichen Kollaps, der notwendig irgendwann folgen muß, überlassend? Oder gibt es gar keine ruhigere Gegend mehr? Sind die früher unterschiedlichsten Städte des Reiches zu einem einzigen Stadt-Geflecht, das das ganze Reich überzieht, zusammengewachsen? Eine beängstigende Vorstellung. Ich bin wieder froh, daß ich in absehbarer Zeit in unsere menschlichere Gegenwart zurückkehren werde. Die Zukunft ist doch ein Abgrund.
    In gewissen Lehren der Mohisten ist gesagt, das Weltende komme durch allmähliches Näherrücken des Himmels, und eines Tages werden die Sterne so nahe sein, daß sie auf der Erde schleifen und durch Funkenschlagen alles entzünden. Eine andere Lehre – die auf den Ch’ia Chou zurückgeht – besagt, daß die Welt zwar ewig sei, die Menschen aber immer durchsichtiger werden und sich endlich in Luft auflösen, worauf die Ameisen die Herrschaft über die Erde übernehmen … dann gibt es die Theorie, daß die Sonne ins Meer fällt, wenn die Zeit gekommen ist, das Meer zu kochen anfängt, die Erde gar kocht und die lebenden Kreaturen röstet mit Ausnahme des Salamanders … und dann die Meinung des verewigten Lin Pu-tzu, den noch mein Großvater gekannt hat. Lin Pu-tzu hat errechnet, daß die Sterne das blaue Himmelsgestein ankratzen, dessen feiner Staub zur Erde fällt und eines Tages alles erstickt … nichts von alldem, teurer Dji-gu: Stein und Eisen, die sich selbständig machen und die Erde überwölben, bis sie sich in ihrer eigenen Umarmung, die Lärm und Dreck zeugt, ersticken, werden das Ende der Welt sein. Soweit sehe ich jetzt klar. Ich nehme an, daß das – von »jetzt« an gesehen – nicht mehr lang auf sich warten läßt. Wir in unserer Zeit-Heimat haben aber immerhin noch tausend Jahre Zeit.
    Aber zurück zu meinem Ausflug mit Herrn Shi-shmi; dieser mein achter Brief ist ohnedies schon ein ganzes Bündel von Blättern.
    Dort, wo nach Herrn Shi-shmis Erklärung das eigentliche Zentrum dieser gigantischen, fernen Stadt ist, verließen wir das eiserne fahrende Haus. Der Lärm der Großnasen war hier, wenn möglich, noch grauenvoller. Es dampfte aus Löchern in der Erde. Wir überquerten einige Straßen und traten in einen ganz mit Glas nach außen hin abgegrenzten Laden. Vorher hatte ich Herrn Shi-shmi auf seine Bitte hin das zweite von den

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