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Briefe in die chinesische Vergangenheit

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Titel: Briefe in die chinesische Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Rosendorfer
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der Lu-wing und Ma-ksi-mai-lan abgelöst hat, habe ich nicht verstanden. Herr Shi-shmi – der übrigens, das hat er mir bei dieser Gelegenheit gesagt, außer Shi-shmi auch noch Ma-ksi-mai-lan heißt – hat ausweichend geantwortet: ja und nein.
    Jedenfalls scheint mir bemerkenswert, mit welcher Respektlosigkeit selbst ein so gebildeter Mann wie Shi-shmi von einem Wang redet, und sei er auch ein abgesetzter und vertriebener. Auch die Tatsache, daß einer wagt, den Namen eines noch dazu verstorbenen Wang anzunehmen, zeigt, wie wenig Achtung man dem Herrscher entgegenbringt. Ich kann und kann mir einfach nicht vorstellen, daß das unsere Enkel sind, die heute hier leben. Es steckt da noch etwas anderes dahinter. – Der zweite Lu-wing war nach einer ebenfalls äußerst respektlosen Äußerung von Herrn Shi-shmi verrückt und ertränkte sich selber in einem See.
    Ob über dem Wang noch ein Kaiser regiert und wo dieser residiert, konnte ich noch nicht erfahren. Aber ich werde alles zur gegebenen Zeit, wenn ich gut genug die hiesige Sprache verstehe – erfragen können.
    Eigentlich aber will ich Dir heute vom Geld erzählen. Das ist eine merkwürdige Angelegenheit und so fremdartig wie das Sich-in-eine-porzellangefaßte-Zimmer-Quelle-Erleichtern. Die Leute hier haben zwar Münzen, aber die sind nichts wert. Die Münzen sind auch nur aus Silber von sehr schlechter Legierung oder aus Kupfer oder Eisen. Das eigentliche Zahlungsmittel sind Zettel. Du erinnerst dich an die zwei – wie ich meinte – grünen Briefe, die Herr Shi-shmi jener Dame gab, die sich über mich beklagte. Das waren keine Briefe, sondern das war Geld, Geld in Papierform, so wie man es auch bei uns vor einiger Zeit in den Jahren der »Fünf Dynastien« erfolglos einzuführen versucht hat. Es gibt grüne, braune und blaue Scheine. Das Geld heißt – es ist fast unaussprechlich – Ma-l’-ch’. Woher Herr Shi-shmi seine Ma-l’-ch’-Scheine hat, weiß ich nicht. Er hat immer wieder neue. Selber macht er sie nicht, hat er gesagt.
    Die erste genaue Bekanntschaft mit diesen eigenartigen Ma-l’-ch’-Scheinen machte ich gestern. Wir fuhren unendlich weit, wir: das heißt Herr Shi-shmi und ich. Du mußt wissen, daß es hier außer den A-tao-Wagen auch noch eine Art fahrender Häuser aus Eisen gibt. Das Gefährliche an diesen fahrenden Eisen-Häusern (Ta-mam nennt sie Herr Shi-shmi, sie werden aber auch noch mit anderen Namen bezeichnet, die ich mir nicht merken konnte) ist nicht wie bei den A-tao-Wagen die höllische Geschwindigkeit, sondern das Betreten und Verlassen. Die fahrenden Eisen-Häuser Ta-mam haben Fenster, die man nicht öffnen kann, und Türen, die sich durch geheimnisvolle Mechanismen von selber öffnen und schließen. Ein weniger aufgeklärter Mensch als ich könnte wiederum an nichts anderes als an Zauberei denken. Nun ist es aber offenbar so, daß die Leute, denen diese Ta-mam-Häuser gehören, den Mechanismus nicht richtig beherrschen. Die Türen schließen sich oder öffnen sich, wie die Türen wollen, habe ich den Eindruck, nicht wie die Gäste des Hauses wollen. Außerdem geht alles schwindelerregend rasch. Es gibt bestimmte Punkte an den Straßen, da ist – wenn ich Herrn Shi-shmi richtig verstanden habe – zu vermuten, daß so ein Ta-mam daherkommt und anhält. Wir warteten. Es regnete wie üblich seit Tagen. Nach einiger Zeit kam tatsächlich so ein Ungetüm herangewackelt. Herr Shi-shmi ergriff mich, stieß mich die kleine Treppe hinauf. Ich war erschrocken vom Dunst und der feuchten, schlechten Luft, die mir entgegenschlug, und drängte instinktiv wieder zurück, aber Herr Shi-shmi schrie »Ho-la …« und stieß mich wieder nach vorn. Ich fiel in das Haus, schon schloß sich das Tor. Die Leute im Haus lachten. Das Tor zwickte Herrn Shi-shmi ein. Ich war außer mir vor Angst um sein Leben, aber er überstand es ganz gut. Im ersten Augenblick meinte ich, das Tor würde ihn zerquetschen.
    Das Innere des Ta-mam-Eisenhauses ist karg und schmutzig. Es gibt keine Zimmer. Das ganze Haus besteht nur aus einem Raum, in dem an den Wänden Bänke angebracht sind. Ich fragte Herrn Shi-shmi, wer der Hausherr des Ta-mam sei, damit ich ihn begrüßen könne, aber Herr Shi-shmi erklärte, daß das nicht nötig sei. Er erklärte mir dann die Zusammenhänge im Lauf der Fahrt. Das Ta-mam ist gar kein Haus, sondern eine Art öffentliche Kutsche und gehört dem regierenden Mandarin von Min-chen, der in seiner sonnengleich überströmenden Güte die

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