Brigade Dirlewanger
wieder in seinem Kopf, aber weit weg, wie gefiltert, als er den Abzug auslöst.
Der Schuß sitzt.
Der Turm wird hochgehoben wie ein alter Hut, vom tödlichen Windstoß sieben, acht Meter zurückgefetzt, mitten unter die heranstürmenden B-Soldaten Dirlewangers hinein. Aus dem Kasten schlagen Flammen. Er hebt sich leicht wie zu einer Verneigung. Und dann fährt er fast senkrecht in die Luft. Die Munition muß explodiert sein.
Die Rebellen feuern jetzt unter die deckungslosen B-Soldaten, mähen sie nieder. Selbst die Frauen. Und die Kinder. Und die Greise. Das Sterben ist barbarisch und allgemein. Es ist ohne Würde und ohne Gnade, ohne Vernunft und ohne Ausweg. Dabei sind die Glücklichsten in diesem Frontabschnitt die Toten.
Aber das alles erlebt der junge Grzes nicht mehr. Sein Kopf sinkt nach unten, schlägt hart gegen das Geschützrohr, aber er spürt es nicht. Er weint wie ein Kind, haltlos, wie ein Wahnsinniger, verzweifelt. Irgendwann sieht er auf, sieht durch den Tränenflor seinen Leutnant, der es ihm befahl, verfolgt, wie der Offizier mit seiner MP zwischen die Heranstürmenden zielt, merkt die Welle des plötzlichen Hasses, die ihn überflutet, als wäre der Offizier schuld an der Ungeheuerlichkeit, an diesem Leid ohne Boden, und stürzt sich auf ihn, mitten im Gefecht, schlägt ihm die Waffe aus der Hand, krallt sich an seinem Hals fest und stöhnt keuchend: »Du Mörder! … Du gottverfluchter Mörder!« Er drückt die Kehle zusammen, so fest er kann. »Du hast sie umgebracht«, röchelt er schluchzend weiter, »Maria … und das Kind … du Mörder!«
Die anderen bemerken den Anfall in den ersten Sekunden nicht, mit beiden Händen beschäftigt, Dirlewangers Horden zurückzujagen. Grzes und der Leutnant wälzen sich am Boden, offen, ohne Deckung. Aber die Kugeln zischen über sie hinweg. Fast gleichzeitig kommen sie auf die Beine. Dann wummert eine Granate in das Pflaster. Der Luftdruck schleudert sie ein paar Meter nach hinten, in ein Loch, in dem sie verschnaufen.
Grzes ist wieder zu sich gekommen. Der Offizier erfährt erst jetzt, daß er seinem Richtkanonier befohlen hat, mit dem Panzer seine eigene Frau und sein Kind zu töten …
Grzes springt auf, steht da, breitbeinig, offen wie eine Feldscheune. Die Kugeln lassen ihn laufen. »Maria …«, keucht er, »Maria …«, brüllt er, während die anderen schießen, treffen, nachladen, um wieder zu schießen. »Maria!« schreit er und fällt auf das Gesicht, noch immer von den Granaten ausgespart, während es seinen Kameraden gelingt, den Angriff noch einmal abzuwehren …
Die Scham über die letzte Demütigung beim Abschied von seinen bisherigen Kameraden war bei Brillmann schon nach den ersten Schritten der Erleichterung darüber gewichen, daß er nunmehr endgültig und auf Anforderung der Berliner Zentrale der Sonderbrigade entkommen und der Gewalt Vonweghs entzogen war. Über das Gesicht des B-Soldaten, der Dirlewangers seltsame Klamotten nur noch pro forma und für Stunden trug, schlängelte schlaue Zufriedenheit.
Diesmal stimmte die Richtung: Es ging nach hinten, und auch nur die kürzeste Strecke zu Fuß. Bald würde Brillmann im Offiziersabteil sitzen und weichgepolstert nach Berlin rollen, kein Ausgestoßener mehr, sondern ein Staatsanwalt z.b.V. mit dem Zusatzrang eines SS-Sturmbannführers. Mit einem Schlag war der Bindestrich keiner mehr, mit dem man alles treiben konnte, sondern einer, der wieder am Drücker saß.
Er hatte es eilig.
Er hastete um den Trümmerberg herum und stockte. Aus dem Schutthaufen qualmten trübe, stinkige Schwaden, als hätte man Kehricht angezündet. Brillmann stellte erschrocken fest, daß es Leichen waren, deren formlose Verbrennung man nicht abwarten wollte. Es schien dem Bindestrich, als ob sich eine Frau noch rührte. Die Nerven, rügte er sich.
Ein Vorgang dieser Art ging ihm gegen den Strich und auch gegen den Geschmack, schon weil er ein Ästhet war. Er stellte es fast befriedigt fest. Diese Nazis, dachte er weiter, mußten schon von jeher alles übertreiben. Kein Wunder, wenn jetzt so viele begannen, wieder an sich selbst zu denken.
Lächelnd bemerkte Brillmann, daß er in Gedanken bereits wie von selbst auf der anderen Seite stand. Auf der richtigen, auf der siegenden, auf der allgemeinverbindlichen … wenn auch vielleicht nicht gleich und auf einigen Umwegen.
Das ist es ja, überlegte Brillmann, was dieser Vonwegh nie begreifen würde: Nicht Idealisten machen Politik, sondern
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